Dieser Text erschien erstmals in der Ausgabe vom 12. Februar 2025.

Martin wer? Das mögen sich viele gefragt haben. Er heisst zwar gleich wie sein bekannter und gewandter Parteipräsident Gerhard Pfister und stammt auch aus demselben Kanton, aber Martin Pfister, Zuger Regierungsrat, ist bisher kaum über seine engere Heimat hinaus aufgefallen. Auch dies ist ja eine Besonderheit des Sonderfalls Schweiz: dass praktisch unbekannte Leute Bundesrat werden, ein Ministeramt bekleiden können. Oder wer kannte eine Elisabeth Baume-Schneider, bevor sie überraschend ins Bundesratsrennen einstieg und noch überraschender gewann?

Bei Martin Pfister ist es noch nicht so weit. Doch glaubt man den Auguren der Medien, hat das Greenhorn Pfister durchaus Möglichkeiten im Rennen gegen den parteiinternen Konkurrenten Markus Ritter, als Präsident des mächtigen Schweizerischen Bauernverbandes und Nationalrat ein Schwergewicht in Bern. Pfister habe «beste Chancen, der nächste Vorsteher des Verteidigungsdepartements zu werden», schreibt Ex-Nationalrat Christoph Mörgeli (SVP) in der Weltwoche. Die Titel von CH Media räumen Pfister ebenfalls «gute Chancen» ein. Ritter sei zwar klarer Favorit, doch genau dies könnte der «Vorteil» von Pfister sein, meint die NZZ.

 

Ritter drückt die Pathos-Taste

Grund genug also, sich ernsthaft mit der Frage auseinanderzusetzen, wer dieser Martin Pfister ist, wofür er steht, für welche Schweiz er einsteht. Sein Konkurrent Ritter hat in der Weltwoche die Pathostaste gedrückt und gesagt, er würde «für die Schweiz sterben». Es muss ja nicht gleich der Heldentod sein, aber wer Bundesrat werden will, von dem darf man schon erwarten, dass er zumindest klare Vorstellungen davon hat, was ein lebenswertes Leben, eine gute und richtige Politik für dieses Land ist.

Pfister ist sich da offenbar nicht überall so sicher. In einem Interview mit dem Tamedia-Verlag wich er so oft aus, dass die ihm durchaus gewogene Redaktion die Bemerkung voranstellte, bei manchen Themen ziehe er den «Joker». Auf die Frage beispielsweise, ob die Schweiz die Weitergabe von Waffen an die Ukraine ermöglichen solle, wich Pfister nicht ein Mal, nicht zwei Mal, sondern drei Mal aus. Aus anderen Stellen geht indes hervor, dass er keine Anstalten machen würde, den Nato- und EU-Kurs seiner Parteikollegin Viola Amherd zu korrigieren. Im Krisenfall müsse die Schweiz «mit der Nato kooperieren». Diese sei «ein wichtiger Teil der europäischen Sicherheitsarchitektur». Das Schweizer Radio und Fernsehen titelte einen Bericht über den ersten offiziellen Medienauftritt Pfisters als Bundesratskandidat gar mit dem Zitat: «Zusammenarbeit mit Nato ist absolut nötig.» Eine beherzte Verteidigung der Schweizer Neutralität klingt anders.

Ähnlich unverbindlich, am Ende aber doch erstaunlich unbürgerlich, gibt sich Pfister bei seiner politischen Verortung. Er wehre sich dagegen, sich «starr in ein Links-rechts-Schema einzuordnen». Nun, das ist bekanntermassen nicht die Stärke der Mitte-Partei, doch Pfister bekennt: «Die Linke kann sich darauf verlassen, dass ich ihre Haltung berücksichtige.» Von der Rechten sagt er so etwas nicht ansatzweise. Erhellend ist auch seine Aussage, es wäre «tragisch», wenn im Bundesrat ein bürgerlicher Block aus SVP und FDP dominierte.

Das Spiel wiederholt sich bei den heissen Eisen helvetischer Politik: Pfister geht zunächst in Deckung, um dann doch unter der Hand eine linke Schlagseite zu verraten. Ob er das neue Vertragspaket mit der EU befürworte? Dazu könne er sich «nicht detailliert äussern», da die Verträge noch nicht öffentlich seien. Dabei hat sich Pfister längst entschieden. Er will diesen Rahmenvertrag 2.0, er gehe in eine «positive Richtung». Insider bestätigen, dass er das Abkommen befürwortet. Warum, wenn er so denkt, sagt er es dann nicht? Warum antwortet er nicht einfach: «Ja, ich bin für die EU-Anbindung»?

 

«Wie ein Schluck Wasser»

Vollends ins links-grüne Gelände biegt der Kandidat ab, wenn es um Zuwanderung und Asyl geht, jene Themen also, die von Europa bis Amerika die Leute am meisten beschäftigen und reihum Wahlen entscheiden. «Einwanderungseinschränkungen» seien «schwierig», sagt Pfister. Wir müssten schauen, dass wir uns «nicht selber schaden». Damit meint er nicht die vielfältigen Schäden durch eine unkontrollierte Masseneinwanderung, nein: Er meint die Steuerung derselben, wie sie das Volk beschlossen hat.

«Die Linke kann sich darauf verlassen, dass ich ihre Haltung berücksichtige.»

Auf die Frage, ob es Verschärfungen im Asylbereich brauche, bringt der Mitte-Mann – als lebte er auf einem anderen Planeten als die grosse Mehrheit der Bevölkerung – nicht den Hauch eines Ja über die Lippen. Vielmehr sagt er, es sei «schwer zu beeinflussen, wie viele Menschen in die Schweiz kommen». Das hänge vor allem von «internationalen Entwicklungen» ab. Die Schweiz müsse sich dafür einsetzen, «dass Menschen nicht flüchten müssen». Ein Linksaussen wie Cédric Wermuth oder ein Hilfswerksprecher würde es nicht anders sagen.

Pfister steht im beschaulichen Kanton Zug der beschaulichen Gesundheitsdirektion vor, das gelte «eher als ruhiger Job», hat er selbst einmal gesagt. Das Amt scheint ihm zu passen: Er sei keiner, der etwas bewege, heisst es, keiner, der hinstehe und einen Pflock einschlage, keiner mit Ecken und Kanten. Kein Macher, sondern ein Verwalter. Eine weitere Eigenschaft, die man ihm zuschreibt: Er wolle nirgends anecken, marschiere immer sauber in der Reihe. Er sei «so fade wie ein Schluck Wasser».

Dabei gilt der bei Bundesratshistoriker Urs Altermatt ausgebildete ehemalige Lehrer und Verbandsberater insbesondere für Non-Profit-Organisationen als belesen und eloquent, als anständig und kollegial. Er tue niemandem etwas zuleide. Entscheidungen zu treffen, falle ihm schwer – was wiederum damit zusammenhänge, dass er niemanden vergraulen und es allen recht machen wolle. Kurzum: Pfister ist ein Mitte-Politiker, wie er im Buche steht. Was wirklich seine Überzeugung ist, sofern er überhaupt eine hat, wird kaum fassbar.

Das zeigte sich auch in seiner aufregendsten Zeit als Gesundheitsvorsteher während der Corona-Pandemie. Er habe sich hinter dem Kantonsarzt versteckt und sei froh gewesen, dass er mehr oder weniger nur habe vollziehen müssen, was der Bund vorgegeben habe. Unter dem Schutzschirm der von oben verordneten Doktrin wagte Pfister auf dem Höhepunkt des Massnahmenregimes im Dezember 2021 ein paar Aussagen über das Impfen und dessen Kritiker, die seiner sonst fast schon penibel konzilianten Art zu widersprechen scheinen. «Die Impfung ist auch ein solidarischer Akt», sagte er. «Wer sich gegen diesen gesellschaftlichen Beitrag entscheidet, muss auch gesellschaftliche Nachteile in Kauf nehmen – das ist in meinen Augen eine zwingende Folge.» Ein Impfobligatorium schliesse er nicht mehr aus. Wenn sich die Situation in den Spitälern verschlimmere, wäre «eine Impfpflicht zumindest zu prüfen». Diese hätte den Vorteil, sinnierte er, «dass Klarheit über die Erwartungen besteht. Es gibt Personen, die brauchen diese Klarheit.»

Hoppla. Solch autoritäre Anwandlungen sind nicht unbedingt das, was man von einem Mann erwarten würde, der sonst so sehr darum bemüht ist, nur ja nicht anzustossen. Aber vielleicht ist auch dies wiederum typisch: Er schwamm mit dem Mainstream der Covid-Ära, in der es plötzlich opportun schien, kritische Zeitgenossen als Bürger zweiter Klasse zu behandeln und auf Grundrechte zu pfeifen. Auf die Frage, was er von der Forderung halte, Ungeimpften einen Platz auf der Intensivpflegestation zu verweigern, meinte Pfister: «Politisch gesehen, habe ich Sympathien dafür.» Man könne «nicht den Fünfer und das Weggli haben». Den Fünfer und das Weggli? Was für ein vergaloppierter Gemeinplatz.

 

Schlicht zu nett

Sind die Fähigkeiten, Eigenschaften, politischen Überzeugungen oder Nichtüberzeugungen eines Martin Pfister wirklich das, was die Schweiz jetzt braucht? Ist ein Bundesrat, der Mühe hat, Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen, geeignet, um, wie es wahrscheinlich herauskommen würde, das überlebenswichtige Verteidigungsdepartement zu führen? Oder würde ein solcher Bundesrat vielmehr von der Verwaltung geführt? Ist es gut und richtig für die Schweiz, wenn sie einen Bundesrat erhält, der die Neutralität weiter schwächt und die Anbindung an die EU und die Nato sucht? Will das Schweizer Volk einen Bundesrat, der glaubt und sagt, die Einwanderungs- und Asylpolitik lasse sich nicht beeinflussen, wer kommen wolle, solle doch kommen?

Es besteht der dringende Verdacht, dass dieser «flotte Kerl» schlicht zu nett ist für diesen harten Job in dieser herausfordernden Zeit.