Lima – Die Bemerkung des geschassten deutschen Finanzminister Christinan Lindner (FDP) sorgt weitherum für helle Aufregung: «Wir sollten ein klein bisschen mehr Milei und Musk wagen.»
Friedrich Merz war «entsetzt», ja «sprachlos». Er verfolge die Geschehnisse in Argentinien ja «nicht jeden Tag», sagte der CDU-Bundesvorsitzende bei Maischberger, doch «Milei ruiniert das Land».
Ach wirklich? Merz sollte sich etwas intensiver mit Argentinien befassen. Vielleicht würde er dann sogar mehr als nur «ein klein bisschen mehr Milei» wagen. Denn was der Mann mit der Motorsäge in nur einem Jahr geschafft hat, übertrifft die kühnsten Erwartungen.
Als der libertäre Javier Milei am 10. Dezember 2023 sein Amt antrat, stand Argentinien nach Jahrzehnten linker Misswirtschaft buchstäblich am Abgrund: Hyperinflation, Rezession, Überschuldung, Korruption, gegen 50 Prozent der Bevölkerung in der Armut.
Dabei hatte Milei nicht mehr als Schweiss und Tränen versprochen: Bis seine radikalliberalen Reformen greifen, würde sich die Misere vorerst verschärfen. Man kann es mit einer Chemotherapie oder einem kalten Entzug vergleichen. Eine schmerzhafte, aber unumgängliche lebensrettende Kur.
Diese Talsohle scheint durchschritten: Die monatliche Inflation unter drei Prozent, der Dollar auf dem Schwarzmarkt liegt nur noch wenige Prozentpunkte über dem offiziellen Kurs, der Staatshaushalt stabil im Lot, die Wirtschaft wächst wieder. Und das Wichtigste: Die Armutsquote sinkt.
Wenige hatten es für möglich gehalten, dass es so schnell ging. Als Milei sein Amt antrat, spotteten die Ämtchenjäger, Bürokraten und Beamten. An ihrem Korpsgeist hatten sich bislang alle die Zähne ausgebissen. Mittlerweile ist ihnen das Lachen vergangen.
30 000 Staatsbesoldete hat Mileu sofort gefeuert. Letzte Woche liess Federico Sturzenegger, Mileis Superminister für Entbürokratisierung, weitere 40 000 zum schriftlichen Examen antreten. Wer nicht besteht, muss ein neues, ehrliches Auskommen suchen.
Das sei nur der Anfang, liess Sturzenegger kürzlich verlauten. Jetzt sei die Zeit reif für «deep motosierra» - die «tiefe Kettensäge».
Argentinien ist noch lange nicht aus dem Schneider. Die Liberalisierung und die Entschlackung des verfetteten Staatsapparates ist ein langwieriger Prozess. 2025 wird entscheidend sein für Mileis Projekt. Zwischenwahlen stehen an.
Er werde mit jedem zusammenarbeiten, der Argentinien wieder nach oben bringen wolle, versprach Milei bei seiner Wahl – egal welcher politischen Couleur, egal welche Anliegen er einst verfochten, egal was er getan habe. Und er hat Wort gehalten. Seine Gegner sind heute, je nach Interessenlage in ständig wechselnder Koalition, seine Verbündeten.
Und hier liegt vielleicht das grösste Verdienst von Javier Milei: So unerbittlich er an seinen Prinzipien festhält, so pragmatisch arbeitet er an der politischen Umsetzung, stets unter peinlichster Beachtung der demokratischen Spielregeln. In Südamerika gibt es wenige Politiker, die das von sich behaupten können – und Europa steht in dieser Hinsicht mittlerweile nicht viel besser da.
Als der seltsam frisierte Mann mit der Motorsäge und der Lederjacke 2023 in Buenos Aires gleichsam aus dem Nichts auftauchte, nahm man ihn ausserhalb von Argentinien bestenfalls als Payas wahr. Mittlerweile steht Milei weltweit als Ikone für eine Befreiungs-Bewegung, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre.
Manche mögen einwenden: Für ein heruntergewirtschaftetes Land wie Argentinien mag ein Milei heilsam sein, aber doch nicht bei uns. Ihnen sei gesagt: Vor hundert Jahren war Argentinien eines der reichsten Länder der Welt, bis ein überbordender Staat alles zunichte machte. In die Negativspirale zu geraten ist einfach, sich daraus zu befreien hingegen mühselig und schmerzvoll.
Die Kommentare auf weltwoche.ch dienen als Diskussionsplattform und sollen den offenen Meinungsaustausch unter den Lesern ermöglichen. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass in allen Kommentarspalten fair und sachlich debattiert wird. Scharfe, sachbezogene Kritik am Inhalt des Artikels oder wo angebracht an Beiträgen anderer Forumsteilnehmer ist erwünscht, solange sie höflich vorgetragen wird. Persönlichkeitsverletzende und diskriminierende Äusserungen hingegen verstossen gegen unsere Richtlinien. Sie werden ebenso gelöscht wie Kommentare, die eine sexistische, beleidigende oder anstössige Ausdrucksweise verwenden. Beiträge kommerzieller Natur werden nicht freigegeben. Zu verzichten ist grundsätzlich auch auf Kommentarserien (zwei oder mehrere Kommentare hintereinander um die Zeichenbeschränkung zu umgehen), wobei die Online-Redaktion mit Augenmass Ausnahmen zulassen kann.
Die Kommentarspalten sind artikelbezogen, die thematische Ausrichtung ist damit vorgegeben. Wir bitten Sie deshalb auf Beiträge zu verzichten, die nichts mit dem Inhalt des Artikels zu tun haben.
Das Nutzen der Kommentarfunktion bedeutet ein Einverständnis mit unseren Richtlinien.
Unzulässig sind Wortmeldungen, die
Als Medium, das der freien Meinungsäusserung verpflichtet ist, handhabt die Weltwoche Verlags AG die Veröffentlichung von Kommentaren liberal. Die Online-Redaktion behält sich jedoch vor, Kommentare nach eigenem Gutdünken und ohne Angabe von Gründen nicht freizugeben. Es besteht grundsätzlich kein Recht darauf, dass ein Kommentar veröffentlich wird. Weiter behält sich die Redaktion das Recht vor, Kürzungen vorzunehmen.