26,41 gegen 25,93 steht es zur Halbzeit.
Es sind – in Prozenten – die Stimmenanteile der Wahlbündnisse «Nupes» (des Linksradikalen Jean-Luc Mélenchon) und «Ensemble» (Macrons Mitte).
Der knappe Vorsprung Mélenchons ist für ihn ein grosser Sieg. Er hatte die Parlamentswahl zum Duell «Ich gegen Macron» hochstilisiert: indem er sich zum Kandidaten für das Amt des Premierministers erklärte.
Noch nie war ein französischer Präsident nach seiner Wahl so unbeliebt wie Macron 2022. Und nie zuvor hat ein Politiker, der es nicht einmal in die Stichwahl schaffte, bei der Wahl des Parlaments die Hauptrolle gespielt. Mélenchon bestimmt die Dramaturgie und führt als Einziger eine dynamische Kampagne.
Das sagen die nackten Zahlen. Doch sie müssen im zweiten Wahlgang am Sonntag in Sitze verwandelt werden. Und da stellt sich nur eine Frage: relativ oder absolut?
Gibt es für Macron eine relative oder eine absolute Mehrheit? Die absolute beginnt mit 289 (von 577) Abgeordneten.
Die Meinungsforscher prophezeien Macron 275 bis 310 Sitze. Mélenchon: 180 bis 210. So will es das Wahlsystem, das Minderheiten diskriminiert und klare Mehrheiten schafft.
Sicher scheint: Jean-Luc Mélenchon wird mindestens Oppositionsführer im Parlament.
Aber Premierminister? Ja – falls Nupes mehr als die Hälfte der Sitze erobert. Das «Momentum» ist auf seiner Seite. Die Dynamik hält an. Auf mehreren Seiten hat «Libération» Macrons «Lügenpoker» und «Fake News» im Kampf gegen Mélenchon beschrieben.
Die Voraussetzung dafür: Le-Pen-Wähler müssten sich für Mélenchons Kandidaten entscheiden.
Politische Übereinstimmungen gibt es durchaus. Es gibt in Frankreich eine Mehrheit der «Souveränisten». Im Lockdown hat der Philosoph Michel Onfray eine neue Zeitschrift Front Populaire begründet. Ihr Ziel: die Vereinigung der linken und der rechten Populisten.
Was sie vereint: die Kritik an der EU, der sie ein Europa der Vaterländer entgegenhalten. Den Willen zum Austritt aus der Nato. Deutschfeindlichkeit und Antiamerikanismus. Und: viel Verständnis für Putin.
Was sie trennt: die Haltung gegenüber der Einwanderung und dem Islam. Mélenchon vertritt die Woke-Kultur: Islamlinke, LGBTQ+, Antirassismus. Marine Le Pen versteht sich als Bollwerk gegen die islamische Bedrohung.
Das sind ideologische Gefechte mit beschränktem Einfluss auf das Wahlverhalten der Unterschicht. Vor vierzig Jahren wählten die Arbeiter kommunistisch. Heute Le Pen. Wenn sie denn überhaupt wählen gehen.
Unvorstellbar ist eine Rückkehr der Linken keineswegs: Die Lust am Königsmord, der Zorn auf Macron sind ungebrochen. In der Geschichte war die französische Linke nationaler und patriotischer als die Rechte. Mélenchon verspricht einen massiv erhöhten Mindestlohn und die Rente mit sechzig. In jeder Rede richtet er sich inzwischen an die chers patriotes. Und meint nicht nur die Genossen.
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