Ich habe nicht die Absicht, die Details von Trumps Politik, die er in den ersten Tagen und Wochen seiner Präsidentschaft angekündigt oder eingeführt hat, zu analysieren und kritisch zu bewerten. Viel wichtiger sind ihre Gesamtwirkung und ihre impliziten Nebeneffekte. Und die sind sehr positiv, zumindest aus meiner Sicht.
Da Trump es in seinem speziellen Stil getan hat, erhält der Stil eine unangemessene Aufmerksamkeit, die viel grösser ist als der Inhalt. Zum Teil zu Recht, zum Teil zu Unrecht. Seine Art, Politik zu machen, ist in Europa natürlich unvorstellbar, aber wir sind keine Amerikaner, und wir haben keine amerikanischen Traditionen und kein Mehrheitswahlsystem. Meiner Meinung nach hat Trump eine neue Ära der internationalen Politik eingeleitet – und das ist viel wichtiger.
Einige Kommentatoren sehen darin eine Rückkehr zum «Konzert der Supermächte», aber sie irren. Trump hat «nur» nationale Interessen in die Politik zurückgebracht. Er mag keine leeren Moralpredigten. Als Geschäftsmann zieht er es vor, zu verhandeln und Geschäfte zu machen, anstatt gute Absichten zu predigen. Sein Ansatz entspricht nicht der Art und Weise, wie internationale Politik seit Woodrow Wilson vor hundert Jahren gemacht wurde. Diese Ära ist vorbei.
Ein solcher Wandel war dringend notwendig und wird enorme Folgen haben. Er wird zweifellos die weltweit herrschende, unaufrichtige «Wir sind alle Freunde»-Politik verschärfen. Er wird die bestehenden Konflikte zuspitzen und die Risiken für neue Konflikte erhöhen. Dennoch war er notwendig nach Jahrzehnten leerer Ideologie von kollektiver Sicherheit auf der Basis der ineffizienten Bewältigung von Weltproblemen nach Art der Vereinten Nationen.
Aber ich möchte mich nicht mit Kritik an der Vergangenheit aufhalten. Mich interessiert viel mehr die Diskussion darüber, was das für uns bedeutet – für unser Schicksal, für unsere Chancen, die notwendigen Veränderungen hier in Europa, vor allem in unserem Mitteleuropa vorzunehmen. Das sollte uns mehr als alles andere interessieren. Wir sollten offen und scharf unsere Situation analysieren, was unsere Politiker nicht ernsthaft tun.
Trumps Wahlsieg und sein radikaler Amtsantritt erschütterten die Welt. Er griff viele langjährige Gewohnheiten, Traditionen und Verhaltensmuster an und gefährdete damit die bequeme Existenz vieler Politiker, die in einer Welt der Verantwortungslosigkeit und Ineffizienz lebten, die durch die relativ ruhigen Entwicklungen nach dem Fall des Kommunismus möglich geworden waren.
Durch die Rückbesinnung auf nationale Interessen fordert Trump den Globalismus und die wichtigsten globalen Institutionen und Organisationen heraus, die sich seit langem gegen die Idee des Nationalstaats und seiner souveränen Politik wenden. Er hat es gewagt, mehrere fast heilige Ideen der derzeit dominierenden und politisch korrekten progressiven Doktrinen anzugreifen. Sein überraschender Wahlsieg bewies allen erfahrenen Pessimisten (mich eingeschlossen), dass etwas scheinbar Unmögliches möglich ist.
Die gewöhnlich sehr lauten und übermässig selbstsicheren Vertreter und Befürworter der Welt sind jetzt still. Zu meinem grossen Bedauern wird das nicht lange so bleiben. Wir müssen das vorübergehende Chaos nützen, die Verwirrung und den Schock all derer, die sich in ihrer selbst empfundenen Grösse gekränkt fühlen. Wir müssen das sich plötzlich öffnende Fenster der Gelegenheit nutzen und anfangen, entschlossene Veränderungen vorzunehmen. Entschlossene Veränderungen, wenn wir in der Regierung sind und aktive Vorbereitungen für Wahlen, wenn wir es nicht sind. Eine solche Gelegenheit wird sich so bald nicht wieder bieten.
Europa, oder besser gesagt die Europäische Union, hat bisher nichts Erwähnenswertes getan. Ihre Politiker zögern. Sie glauben immer noch, sie könnten zu ihrem alten politischen Verhalten zurückkehren, wenn der Sturm vorbei ist. Genau das tun auch die tschechischen Politiker. Viele von ihnen sind überzeugt, dass der Sturm bald vorüber sein wird.
Da bin ich anderer Meinung. Diese Tagträumerei wird relativ schnell ein Ende haben, wenn Trump beginnt, über blosse Rhetorik in Bezug auf den Ukraine-Krieg hinauszugehen. Der «Zwischenfall» in Washington ist ein Beweis dafür. Trumps direkte Gespräche mit Putin haben europäische Politiker nervös gemacht. Sie haben – völlig irrational – so viel in die Unterstützung der Ukraine investiert, dass sie greifbare Ergebnisse und nicht zuletzt auch Vorteile für sich selbst brauchen. Das wird schwer zu bekommen sein. Als Trump andeutete, dass er die ganze Sahne auflecken will, wie wir auf Tschechisch sagen, wurden die europäischen Politiker nervös und unfähig, rational zu reagieren.
Bei allem Pessimismus bin ich überzeugt, dass mit dem Ende des Ukraine-Krieges ein gewisses Mass an Freiheit und Demokratie zurückkehren wird, die in Europa durch den Krieg geschwächt worden sind. Das wird uns die Chance geben, aktiver zu sein, offener und mutiger.
Lassen Sie mich zurückkommen auf die Frage im Titel meiner Rede: «Können wir es uns leisten, die Chance zu vergeuden, die uns Trumps Präsidentschaft bietet?» Zu meinem grossen Bedauern muss ich gestehen, dass ich in dieser Hinsicht nicht sehr optimistisch bin:
1. Wir sind unentschlossen, mutlos und durch jahrelange Untätigkeit und ein bequemes Leben verwöhnt.
2. Wir sind uneins (sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb der Länder).
3. Wir haben als Staaten bereits einen wichtigen Teil unserer Souveränität verloren (indem wir sie mit den Verträgen von Maastricht und Lissabon an Brüssel abgegeben haben).
4. Wir haben kein sinnvolles System von politischen Parteien. Die bestehenden Parteien sind sowohl in ihrem Denken als auch in ihrem Verhalten inkonsistent. Sie sind ideologisch nicht klar definiert. Ihre Mitglieder sind eher motiviert, an der Macht zu sein, als das Land politisch zu führen.
5. Alle politischen Parteien übernehmen mehr oder weniger die Lehren der gegenwärtig vorherrschenden Ideologien des Umweltschutzes, des Multikulturalismus, des Genderismus, des Progressivismus und des Globalismus, was sie fast ununterscheidbar macht. Sie sind alle grün, auch wenn sie dieses Adjektiv nicht ausdrücklich in ihrem Titel tragen. Wir kehren zu so etwas wie einer Nationalen Front zurück, wie wir sie in der kommunistischen Ära erlebt haben.
Diese nur skizzierten, nicht vollständig ausgearbeiteten «Merkmale» unserer Situation deuten darauf hin, dass Europa und insbesondere Mitteleuropa die Chance verspielen können, die sich durch Trumps Sieg und seine in vielerlei Hinsicht revolutionäre Art bieten. Ich fürchte, wir werden gespalten bleiben, und nicht bereit sein, uns den Brüsseler Entscheidungen und Richtlinien zu widersetzen. Unsere politischen Parteien werden sich weiterhin vorwiegend um ihre Mitglieder und Funktionäre kümmern, anstatt die längst überfälligen Veränderungen voranzutreiben, die unsere Länder brauchen (die politischen Parteien sollten aufhören, als Quasi-Sozialdienstleister zu fungieren, und stattdessen echte Befürworter neuer politischer Ideen werden).
Wir sollten vorbereitet sein auf die verzweifelten Versuche alter politischer Gebilde und Strukturen, die Welt vor Trumps Sieg zurückzuholen. Ich erwarte eine Intensivierung der Bemühungen und Aktivitäten sowohl der EU-Politiker und -Bürokraten (und der Nomenklatura) als auch der altgedienten Politiker in den einzelnen europäischen Staaten mit ihren gegenseitigen fast brüderlichen Beziehungen, sowie der einflussreichen Persönlichkeiten bekannter politischer Nichtregierungsorganisationen, der korporatistischen Bosse grosser Wirtschaftsunternehmen, die lange von den Segnungen der Regierungen gelebt haben, und nicht zuletzt der globalen Medienführer, die alle daran arbeiten, den Lauf der Geschichte zurückzudrehen.
Es liegt an uns, ob wir dieses traurige Schicksal passiv hinnehmen oder versuchen, voranzukommen. Ich wünsche sowohl den ungarischen als auch den slowakischen Organisatoren dieses Treffens, dass sie ihre Länder weiter in die richtige Richtung bewegen können. In dieser Hinsicht ist Donald Trump eine grosse Quelle der Inspiration.
Die Kommentare auf weltwoche.ch dienen als Diskussionsplattform und sollen den offenen Meinungsaustausch unter den Lesern ermöglichen. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass in allen Kommentarspalten fair und sachlich debattiert wird. Scharfe, sachbezogene Kritik am Inhalt des Artikels oder wo angebracht an Beiträgen anderer Forumsteilnehmer ist erwünscht, solange sie höflich vorgetragen wird. Persönlichkeitsverletzende und diskriminierende Äusserungen hingegen verstossen gegen unsere Richtlinien. Sie werden ebenso gelöscht wie Kommentare, die eine sexistische, beleidigende oder anstössige Ausdrucksweise verwenden. Beiträge kommerzieller Natur werden nicht freigegeben. Zu verzichten ist grundsätzlich auch auf Kommentarserien (zwei oder mehrere Kommentare hintereinander um die Zeichenbeschränkung zu umgehen), wobei die Online-Redaktion mit Augenmass Ausnahmen zulassen kann.
Die Kommentarspalten sind artikelbezogen, die thematische Ausrichtung ist damit vorgegeben. Wir bitten Sie deshalb auf Beiträge zu verzichten, die nichts mit dem Inhalt des Artikels zu tun haben.
Das Nutzen der Kommentarfunktion bedeutet ein Einverständnis mit unseren Richtlinien.
Unzulässig sind Wortmeldungen, die
Als Medium, das der freien Meinungsäusserung verpflichtet ist, handhabt die Weltwoche Verlags AG die Veröffentlichung von Kommentaren liberal. Die Online-Redaktion behält sich jedoch vor, Kommentare nach eigenem Gutdünken und ohne Angabe von Gründen nicht freizugeben. Es besteht grundsätzlich kein Recht darauf, dass ein Kommentar veröffentlich wird. Weiter behält sich die Redaktion das Recht vor, Kürzungen vorzunehmen.