Sonntagabend, beste Sendezeit. Die SRF-«Tagesschau» eröffnet mit dem Thema Migration:
«Italiens umstrittene Asylzentren» lautet die Schlagzeile. «In Albanien werden die ersten Lager für Zehntausende Migranten eröffnet. Menschenrechtsorganisationen warnen vor einem italienischen Guantanamo.»
In dem Beitrag werden zwei Zentren vorgestellt. Migranten, die im Mittelmeer aufgefischt werden, würden hierhergebracht. Es folgen animierte Aufnahmen vom Inneren der Lager, martialische italienische Polizisten sind zu sehen. Gitter, Gatter, Eisentore. Es kommt kurz der italienische Innenminister zu Wort: «Es handelt sich um eine leichte Inhaftierung», wird er zitiert. Jeder (Migrant) könne davon ausgehen, dass er schnell einen Bescheid erhalte.
Dann macht die Korrespondentin in Rom mit drei vernichtenden Sätzen zum Projekt den Deckel drauf.
1. «Die extraterritorialen Migrationszentren könnten dazu führen, dass Migrantinnen und Migranten gefährlichere Routen wählen, um nach Europa zu kommen.»
Gefährlichere Routen als jene aus Nordafrika übers Mittelmeer? Wie, wo, was genau?
2. «Auch Menschenrechtsorganisationen warnen davor, dass das Abkommen [zwischen Italien und Albanien] zu unrechtmässigen Inhaftierungen führe.»
Dass Menschenrechtsorganisationen warnen, ist nun nicht wirklich neu. Aber «unrechtmässige Inhaftierungen»? Kein Wort, was damit gemeint sein könnte.
3. «Und auch die politische Opposition in Italien übt Kritik; sie sagt, es sei eine Verletzung der Grundrechte von Asylsuchenden und zudem eine Verschwendung von Steuergeldern.»
Dass die Opposition in Italien kein positives Wort zum Projekt findet, ist weiter nicht überraschend. Sie ist gegen Premierministerin Giorgia Meloni. Egal, was sie tut.
Die «Tagesschau»-Eröffnungssalve irritiert das Publikum. Anscheinend geschieht in Albanien gerade etwas ganz Übles. Näheres wird nicht erklärt, aber offenbar hängt der Schatten von Guantanamo über Europa.
Was der Bericht in seiner eklatant einseitigen Art unterschlägt:
Erstens: Die EU-Spitze hat das Abkommen zwischen Italien und Albanien explizit gelobt. Mit den Worten von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen:
«Dies ist ein Beispiel dafür, wie man über den Tellerrand hinausschauen kann, indem man die Verantwortung mit Drittländern im Einklang mit den Verpflichtungen nach EU- und internationalem Recht fair teilt.»
Zweitens: Fünfzehn EU-Staaten wollen dem Beispiel von Italien und Albanien folgen. Angeführt von Dänemark, hat die Gruppe letzten Mai einen gemeinsamen Aufruf zur Auslagerung der Migrations- und Asylpolitik veröffentlicht. Sie argumentieren, dass der «unhaltbare» Anstieg der irregulären Ankünfte in den letzten Jahren es rechtfertige, über den Tellerrand zu schauen.
Drittens: Italien hat 2023 mit 157.000 Migranten einen massiven Ansturm an illegalen Migranten erlebt. Meloni hat das Heft in die Hand genommen. Und nach konstruktiven Lösungen gesucht. Zum Vorteil von ganz Europa. Wofür sie durchaus Zuspruch erhält.
Im Hauptbeitrag der «Tagesschau» beim gebührenpflichtigen SRF wird darüber kein Wort verloren. Mit Absicht?
Viele Schweizerinnen und Schweizer werden bei ihrer Meinungsbildung von solchen Beiträgen geprägt. Und sie werden – so lautet wohl das Kalkül – entsprechend ihr Weltbild zimmern.
PS: Die Weltwoche hat die Thematik vor Ort vor mehreren Wochen aufgegriffen. Hier die Reportage dazu.
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