Erneut ist es in Deutschland zu einem Anschlag mit einem Fahrzeug gekommen. In München rast ein 24-jähriger Asylbewerber mit einem Mini in eine Demonstration der Gewerkschaft Ver.di. Nach jetzigem Stand werden dabei 36 Menschen verletzt. Zwei Personen, darunter ein Kind, schwer. Bei seiner Verhaftung soll der 24-jährige Afghane «Allahu akbar» gerufen haben. Die Staatsanwaltschaft geht deshalb, aber auch aufgrund der Vernehmung des Täters von einem islamistisch motivierten Anschlag aus.
In den Medien war zunächst die Rede davon, dass es sich bei dem jungen Mann um einen abgelehnten Asylbewerber mit Duldungsstatus handele. Auch von Straftaten war die Rede. Inzwischen hat man dies korrigiert. Der Mann halte sich rechtmässig in Deutschland auf. Auch sei er nicht straffällig geworden. Weil er als Ladendetektiv gehandelt hätte, sei er als Zeuge bei mehreren Ladendiebstählen geführt. Deshalb sei es zu der anfänglichen Fehlinformation gekommen. Fair enough. Was allerdings Unverständnis hervorrufen sollte, ist die Umdeutung bezüglich des Aufenthaltsstatus, die zunächst von der Süddeutschen Zeitung verbreitet und nun nahezu überall übernommen wird. Es ist dasselbe Prinzip wie bei der Diskussion um Zurückweisungen an den Grenzen. Plötzlich wird Unrecht zu Recht umgedeutet. Das darf man nicht durchgehen lassen.
Denn Farhad N., wie der Täter von München heisst, ist ein klassischer Dublin-Fall. Seinen Asylerstantrag hatte er in Italien gestellt, weshalb sein Asylantrag in Deutschland abgelehnt wurde. Er hätte also nach Italien zurückgeschoben werden müssen. Warum dies nicht geschah, ist nicht bekannt. Er erhielt eine Duldung in Deutschland, aber auch diese lief vor zwei Jahren aus. Abgeschoben wurde er dennoch nicht, also erhielt er eine Fiktionsbescheinigung. Wie jeder, der eigentlich zurückgeführt werden müsste, aber dennoch, aus welchen Gründen auch immer, hier in Deutschland bleibt.
Es bedarf also schon eines hohen Masses an Fantasie oder politischem Wohlwollen, aus der Unfähigkeit des deutschen Staates, ausreisepflichtige, abgelehnte Asylbewerber auszuweisen, einen «rechtmässigen Aufenthalt» zu konstruieren. Fakt ist: Farhad N. hätte, wie Abertausende andere, längst nicht mehr hier sein dürfen. Genau genommen seit neun Jahren. So lange ist es nämlich her, dass der junge Mann in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat.
Dirk Schümer schrieb einst von einer «Kultur der Duldung», die unser Land zermürben würde. Damals ging es um eine Terrorattacke in Hamburg. Das war 2017. Er sollte recht behalten. Wie so viele.
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