Mit dem Namen Michail Gorbatschow sind eine ganze Reihe politischer Grosstaten verbunden, die heute in Vergessenheit geraten sind.
In der Sowjetunion hat er drei Revolutionen gleichzeitig befördert: Die erste von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft, die zweite von der Diktatur der Kommunistischen Partei zur Demokratie und die dritte von der Sowjetunion zum Nationalstaat.
Alles gigantische Zerreissproben, die sich Menschen in durchstrukturierten Wohlstandsländern nur schwer vorstellen können.
Aussenpolitisch hat Gorbatschow die Welt friedlicher gemacht. Er hat damals alles riskiert für seinen politischen Traum von einem gemeinsamen europäischen Haus.
Wer denkt heute noch daran, dass weitreichende Abrüstungsverträge von ihm initiiert wurden? Einer davon, der INF-Vertrag (mittlerweile einseitig von den USA gekündigt), sorgte dafür, dass innerhalb von knapp drei Jahren eine ganze Waffenkategorie vernichtet wurde.
Was für ein Meilenstein.
Und nicht zu vergessen: Ohne Gorbatschow hätte es keine deutsche Vereinigung gegeben.
Sein politischer Weg war eine einzige Gratwanderung. Das Austarieren zwischen dem Wünsch- und dem Machbaren, denn eine Gesellschaft muss das aushalten, wenn der Umbau friedlich gelingen soll.
Besserwisserische Kommentierung seiner Politik aus dem Westen hat ihm die Arbeit nicht gerade erleichtert.
Als man Gorbatschow zum Ende seiner Amtszeit mal gefragt hat, was er sich vom Westen wünscht, hat er mit einem Wort geantwortet: Verständnis.
Es ist kein Geheimnis, dass Gorbatschow vielfach die Politik Putins kritisiert hat, aber es ist auch Fakt, dass er tief davon enttäuscht war, wie leichtfertig der Westen mit den mühsam erarbeiteten Chancen umgegangen ist.
Ich hoffe, westliche Politiker finden eine Möglichkeit, ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Denn Michail Gorbatschow hat unter höchstem persönlichen Einsatz alles dafür getan, eine Situation wie heute zu vermeiden.
Gabriele Krone-Schmalz ist Professorin für Journalistik und Bestseller-Autorin. Zwischen 1987 und 1991 war sie ARD-Korrespondentin in Moskau. Als erste Journalistin aus dem Westen gelang es ihr, Michail Gorbatschow zu interviewen.
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