In Gefahr und grösster Not bringt der Mittelweg den Tod. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hat ein riskantes politisches Doppelspiel gewagt und verloren.
Der Versuch, sich zum pragmatischen Sachwalter der Menschen, zum Frontmann eines grundlegenden Politikwechsels zu machen und gleichzeitig die sogenannte Brandmauer aufrechtzuerhalten, ist am Ende dieser Sitzungswoche des Deutschen Bundestags gescheitert.
Dabei war der Grundansatz völlig richtig: Die Menschen im Land machen seit Jahr und Tag die Erfahrung, dass der etablierte Politikbetrieb ihre Probleme nicht löst, lange debattiert und am Ende nicht liefert. Genau diesem Trauerspiel wurde jetzt ein weiteres Kapitel hinzugefügt.
Es ist genau jenes Trauerspiel, das dazu geführt hat, dass so viele Hoffnungen auf der AfD ruhen. Dies zu widerlegen, ist Merz nicht gelungen. Und das auch wegen zwölf Abtrünniger aus den eigenen Reihen. Eine späte Rache der ewigen Widersacherin Angela Merkel, die kurz zuvor mit einer Erklärung gegen Merz Stellung genommen hatte. SPD und Grüne haben wieder nahezu alle Truppen mobilisiert. Bei der FDP gingen ausweislich des Abstimmungsprotokolls am Ende 23 Abgeordnete von der Fahne, wollten nicht mittun bei Merz’ Abrisskommando für die Brandmauer.
Das links-grüne Lager konnte wiederum nahezu alle Stimmen gegen das von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich beschworene «Tor zur Hölle» mobilisieren. Und auf der anderen Seite stimmte die AfD mit fast schon erstaunlicher Disziplin mit der Union.
Hätten sich AfD-Leute vom schwarz-blauen Acker gemacht, hätte man es fast noch am ehesten verstehen können. Warum sollen AfD-Abgeordnete, die sich ohnehin im gesellschaftlichen Aufwind der Umfragen befinden und in US-Präsident Donald Trump derzeit einen ideellen Unterstützer mit Strahlkraft haben, Friedrich Merz zu einem Profilierungserfolg verhelfen, wenn sie gleichzeitig von ihm in Dauerschleife beschimpft werden und ihre Kooperation ausdrücklich nicht gewollt ist?
Die Union versucht ihre Machtlosigkeit nun umzumünzen in den kraftvollen Verweis darauf, dass Rot-Grün nun amtlich nachgewiesen keine Migrationswende wolle und den Bürgerwillen ignoriere. Ob das im Wahlkampf reicht, muss sich erst noch zeigen.
Das linke Lager wird gleichwohl ungerührt einen Wahlkampf gegen die Union führen, in welchem diese zum Steigbügelhalter eines heraufziehenden neuen Nationalsozialismus stilisiert wird. Den Mobilisierungseffekt, der ohnehin sehr niederschwellig zu stimulieren ist, hat Merz mit seiner Abstimmung am Mittwoch bereits geliefert. Das werden sich die Linken nicht wieder aus der Hand nehmen lassen, sie werden Künstler und Aktivisten auf die Strassen bringen, die gegen Merz und dessen vermeintlichen «Dammbruch» marschieren.
Gut möglich, dass dieser Effekt die Union doch noch merklich beim Wahlausgang drückt. Merz hat mit seiner Zähigkeit in drei Anläufen gezeigt, dass er die Union führen will. Merkel könnte ihn nun auf den entscheidenden letzten Metern zum Kanzleramt final erledigt haben. Ihre Freude darüber dürfte sie in aller Stille und ihrer sprichwörtlichen Bescheidenheit geniessen.
Ralf Schuler war mehr als zehn Jahre Leiter der Parlamentsredaktion von Bild und ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS. Er betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch „Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens“ ist im Fontis Verlag, Basel erschienen.
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