Wenn man noch einen Beweis gebraucht hätte, dass Umfragen nicht mehr so zuverlässig sind wie früher, dann gilt das wohl auch für die Bundestagswahl 2025.
Die Linke ist ein Überraschungssieger. Die Partei ist in den Tagen vor der Wahl auf knapp 9 Prozent hochgeschnellt und wurde, wie die AfD, vor allem von jungen Leuten gewählt.
Die AfD landet bei rund 20 Prozent, wie vorhergesagt, aber stimmungsmässig hatten viele mehr erwartet. Die SPD fährt eine historische Niederlage ein. Alles in allem ein sehr gemischter Satz, würde man in Wien wohl sagen. Klar ist in Deutschland wohl gar nichts mehr, weder die Mehrheitsverhältnisse noch Politik- oder Koalitionsoptionen.
Die CDU – lange Wochen bei 30+ Prozent in den Umfragen – ist unter diese Marke gerutscht, die eigentlich die Messgrösse für eine «Volkspartei» ist. Ein sehr schlechtes Ergebnis für die CDU, obschon sie mit einem selbstsicheren Kandidaten ins Rennen gezogen ist, nur um jetzt wohl programmatisch schwierige Koalitionsverhandlungen führen zu müssen.
Man munkelt schon jetzt, dass die nächste Regierungskoalition keine vier Jahre halten wird. Merz strebt eine Reduzierung der Ministerien an, mehrere Ministerien sollen zu «Grossministerien» fusioniert werden: ein Schachzug, der sichtlich die kleineren Koalitionspartner ausbooten soll.
Europas schaut erregt auf Deutschland an diesem Abend und wird doch enttäuscht.
Von Brüssel über Rom bis Warschau oder Paris sind die Kommentierungen verhalten und unsicher: Offenbar ist es nicht mehr einfach einzuschätzen, was eigentlich in Deutschland passiert. Ist die AfD eine Nazi-Partei, war eine Frage bei der BBC. Framing und Vorurteile spielen überall in der Berichterstattung eine grosse Rolle.
Genau scheint sich niemand mehr in Deutschland auszukennen.
Zentral ist, was diese Wahl für die europäische Position angesichts der Beendigung des Krieges in der Ukraine heissen wird, die Donald Trump mit Wladimir Putin demnächst in Riad verhandeln will.
Ein Atlantiker, der gegen Trump ist, wird wohl die nächste deutsche Regierung führen, entschieden, laut eigenen Aussagen, die Waffenlieferungen in die Ukraine fortzusetzen und Truppen zum Schutz dorthin zu schicken. 700 weitere Milliarden sind schon beschlossen, die Grünen und die SPD dürften mitziehen, wenn Schwarz-Rot-Grün die Koalition werden sollte.
Ob Deutschland damit ein verlässlicher europäischer Partner sein wird, bleibt abzuwarten. Ob so eine Politik Europa langfristig guttun wird, ist die eigentliche Frage.
Man hat den Eindruck, dass diese Wahlen de facto rein gar nichts klären: weder für Deutschland, noch für Europa! Weiter durchwurschteln auf dem Narrenschiff, hätte Reinhard Mey wohl in den 1970ern gesungen …
Es bleibt spannend!
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