Heuchelei und Verlogenheit passen nicht gut zum Ansatz, dass unsere westlichen, demokratischen, freiheitlichen Werte allen anderen Wertesystemen überlegen seien. Menschenrechte, Freiheit, Respekt vor dem anderen, Demokratie, Selbstbestimmung, Rechtsstaatlichkeit. So der Kanon, heruntergebetet wie ein Rosenkranz.
Verstösse dagegen werden mindestens verbal streng geahndet. Der Ukraine-Krieg mit seinen Kriegsverbrechen, eigentlich ausschliesslich vom entmenschten Iwan verübt, furchtbar. Wie sagte doch die ukrainische Regierung so richtig: Alle russischen Soldaten sind Kriminelle, Verbrecher und Vergewaltiger. Genau.
Deshalb darf man auch in der Schweiz keinen Dokumentarfilm zeigen, der russische Soldaten als Menschen porträtiert. Das sind sie doch nicht, das ist nur russische Propaganda.
Wie wär’s, wenn man das Gleiche über alle israelischen Soldaten sagen würde? Da erhöbe sich ein ungeheuerlicher Shitstorm, man sähe die Halszäpfchen in brüllenden Mäulern. Antisemit wäre noch das mildeste Schimpfwort, mit dem man bedacht würde.
Natürlich kann man das in dieser Allgemeinheit auch nicht über Mitglieder der israelischen Armee sagen. Aber man kann mit Fug und Recht sagen, dass diese Armee Kriegsverbrechen im Libanon begeht.
Was das ist?
Als Kriegsverbrechen gelten Verhaltensweisen, die in den Genfer Konventionen von 1949 «als schwerer Verstoss» definiert sind oder durch bestimmte Bestimmungen des Anhangs zur vierten Haager Konvention über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1907 verboten sind.
Zum Beispiel?
Tötung, Geiselnahme, Folter und Vergewaltigung von Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen. Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf Krankenhäuser, Kirchen, Schulen, Universitäten und Denkmäler. Plünderungen und Zerstörung von Eigentum. Angriffe auf humanitäre Hilfsmissionen, friedenserhaltende Missionen und auf Missionen des Roten Kreuzes. Verwendung von biologischen, chemischen Waffen und Atomwaffen.
Womit die israelischen Angriffe in einem nichterklärten Krieg gegen den Libanon eindeutig darunterfallen.
Geahndet werden Kriegsverbrechen, sollte die Nation, die sie begeht, nicht selbst dazu in der Lage sein, durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Allerdings muss dessen Autorität zunächst einmal anerkannt werden. Länder wie die USA, China, Indien, Russland, Kuba, Pakistan – und Israel – tun das nicht.
Wer eine regelbasierte Ordnung – die zwar mildernde Umstände und den Begriff der Notwehr kennt, dennoch aber universell gültig sein sollte – als letzten Schutzwall gegen Willkür, Faustrecht und Barbarei ansieht, muss Verstösse dagegen als Kriegsverbrechen bezeichnen.
Schiessen Hisbollah-Terroristen eine Rakete auf ein ziviles Ziel in Israel, ist das ein Kriegsverbrechen. Schiesst die israelische Armee eine Rakete in ein Wohngebiet von Beirut, wo Terroristen vermutet werden, ist das legitim, sind getötete Zivilisten Kollateralschaden. Sie hätten halt rechtzeitig flüchten sollen, so wie im Gazastreifen. Wo ihnen zuerst angeblich sichere Gebiete zugewiesen wurden, die dann anschliessend bombardiert wurden.
Die Definition von Kriegsverbrechen, der Versuch, etwas Zivilisation in die Barbarei eines Krieges zu bringen, gilt aber universell. Genau wie die Menschenrechte.
Das Fundament unserer Rechtsverständnisses beruht darauf, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Sein sollten. Individuen genau wie Staaten. Im Frieden und im Krieg. Letztlich ganz einfach, aber offenbar so schwer zu verstehen.
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