Dieses Interview erschien erstmals in der Ausgabe vom 5. Februar 2025.

Bern

Der 57-jährige Mitte-Nationalrat aus Altstätten gilt plötzlich als haushoher Favorit, wenn die Bundesversammlung am 12. März den Nachfolger für die fluchtartig abgetretene Viola Amherd bestimmt. Er und der Zuger Regierungsrat Martin Pfister sind die beiden einzigen Kandidaten der Mitte-Partei. Für den langjährigen Bauernpräsidenten ist es selbstverständlich, in die Hosen zu steigen. Auf die schwierige Aufgabe im VBS scheint er sich richtiggehend zu freuen. Ritter dürfte der erste Bundesratskandidat sein, der sich – aufgrund der klaren Konstellation – explizit für ein bestimmtes Departement bewirbt.

 

Weltwoche: Markus Ritter, wären Sie bereit, für die Schweiz zu sterben?

Markus Ritter: (Überlegt lange) Ich habe mir diese Frage als Rekrut gestellt und bin damals schon zum Schluss gekommen: ja! Wenn es die Aufgabe der Landesverteidigung verlangt und es auch von Gott so gewollt ist, dann ist es so.

 

Weltwoche: Könnten Sie es als VBS-Chef verantworten, junge Schweizer Soldaten derart schlecht ausgerüstet in einen Ernstfall zu schicken?

Ritter: Nein. Als Vater von Kindern im wehrfähigen Alter ist es für mich klar, dass man unsere Soldaten nicht in einen Konflikt schicken kann, bei dem von Beginn an klar ist, dass sie die schlechteren Karten hätten. Die Armee muss über die notwendigen Mittel verfügen, um im Ernstfall das Leben jedes Einzelnen bestmöglich zu schützen.

 

Weltwoche: Sie wollen, dass die Schweiz wieder stolz ist auf ihre Armee. Wir war es möglich, diese existenzielle Staatsaufgabe derart zu vernachlässigen?

Ritter: Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs meinte man, die Gelder seien anderswo besser eingesetzt. Dreissig Jahre lang hat man in der Schweiz nicht daran gedacht, dass es dereinst auch wieder anders sein könnte und eine starke Armee nichts von ihrer Dringlichkeit eingebüsst hat.

 

Weltwoche: Angesichts des Chaos, das Viola Amherd hinterlässt, kommen Sie gar nicht drum herum, sich als Ausmister zu positionieren. Kennen Sie die Geschichte aus der griechischen Mythologie mit Herkules und dem Stall des Augias?

Ritter: (Lacht) Ehrlicherweise kannte ich sie nicht. Ich habe sie nachgelesen, nachdem die Zeitungen den Vergleich in Anlehnung an meinen Hintergrund als Bauer machten.

 

Weltwoche: Herkules hat nicht nur das Unmögliche geschafft. Er hat den Augiasstall auch sehr schnell und auf sehr unkonventionelle Art aufgeräumt – an nur einem Tag, indem er kurzerhand einen Fluss durch den Stall leitete. Wie würden Sie im VBS vorgehen?

Ritter: Ich würde zuerst alle zu einer Art Rütli-Rapport vereinigen und ihnen meine Arbeitsweise erklären. Die Kultur in einer Organisation muss vom Chef geprägt werden. Ich will eine offene Fehlerkultur. Mitarbeiter dürfen nicht Angst davor haben, dass ihnen ihre Entscheide auf die Füsse fallen. Wer etwas auf dem Herzen hat, soll sich auch bei mir melden können.

 

Weltwoche: Bedenken etwa aus der Armee, das Munitionslager in Mitholz für mehr als 2,5 Milliarden Franken zu sanieren, wurden derweil von Amherd in den Wind geschlagen. Werden Sie hier einen Marschhalt einlegen?

Ritter: Die Diskussion mit der Bevölkerung ist weit fortgeschritten, Menschen haben das Dorf bereits verlassen. Ich werde mich auch in dieses Dossier vertieft einlesen, falls ich gewählt werden sollte. Allein kostentechnisch wäre es ein Wahnsinn, sollte sich der damalige Entscheid tatsächlich als falsch herausstellen.

 

Weltwoche: Umso schneller müssen Sie die verfahrenen Rüstungsprojekte in den Griff kriegen, die zuletzt für Negativschlagzeilen sorgten.

Ritter: Ich habe in meiner Laufbahn oft die Erfahrung gemacht, dass Projekte ins Stocken geraten, obwohl die Mitarbeiter geeignet sind. Statt die Probleme aus dem Weg zu räumen, beginnt man dann, sich gegenseitig zu bekämpfen, oder man hat Angst, Entscheide zu fällen. Hier muss der Chef vorausgehen, die Verantwortung übernehmen und auch den Kopf hinhalten, wenn etwas schiefgeht.

 

Weltwoche: Probleme bei teuren Beschaffungsprojekten gelten im VBS schon fast als Naturgesetz. Trauen Sie es sich zu, diese in den Griff zu kriegen?

Ritter: Sonst würde ich nicht für den Bundesrat kandidieren.

 

Weltwoche: Sieben Schlüsselprojekte im Umfang von neunzehn Milliarden Franken werden von der Finanzdelegation bemängelt. Wie lange geben Sie sich Zeit?

Ritter: Wenn Sie die Finanzaufsicht bereits im Haus haben, müssen Sie so schnell wie möglich Ergebnisse liefern. Wichtig ist es, von Beginn an eine Aufbruchstimmung zu erzeugen. Ich war schockiert, als der Chef der Armee in einem Interview mit der NZZ jüngst gesagt hat, er habe im Hinblick auf die Projekte aufgehört, optimistisch zu sein. Wenn die eigenen Leute nicht mehr an die Sache glauben, dann braucht es weitere Massnahmen.

 

Weltwoche: Werden Sie am Armeechef festhalten?

Ritter: Ich bin Optimist und gehe davon aus, dass es im VBS sehr gute Leute hat, mit denen man diese schwierigen Aufgaben lösen kann. Und es wäre auch nicht fair, jetzt hier aus der Ferne zu beurteilen, wer geeignet ist und wer nicht. Wenn ich feststellen würde, dass es mit jemandem gar nicht funktioniert, müsste man selbstverständlich die entsprechenden Schlüsse ziehen. Aber grundsätzlich gilt bei mir: Jeder hat eine faire Chance, sich zu beweisen.

 

Weltwoche: Gilt das auch für Pälvi Pulli? Die stellvertretende Staatssekretärin gilt als Haupttreiberin der Nato-Annäherung.

Ritter: Natürlich gilt das auch für Frau Pulli.

 

Weltwoche: In der sicherheitspolitischen Strategie 2025, die derzeit in Ausarbeitung ist, wollen Amherd und Pulli die Nato-Zusammenarbeit anstelle der eigenen Wehrhaftigkeit als Schwerpunkt verankern. Werden Sie das so laufenlassen?

Ritter: Ich musste nach den ersten Tagen der Trump-Regierung meine bisherige Einstellung zur Nato neu justieren. Die Mitglieder des Bündnisses geraten durch die schroffen Forderungen Trumps, viel mehr für die Verteidigung selbst bezahlen zu müssen, unter Druck. Es ist eine neue, schnelle Dynamik entstanden, und die Schweiz tut gut daran, unter dem Radar zu bleiben.

 

Weltwoche: Was meinen Sie damit?

Ritter: Natürlich braucht es einen guten Austausch mit allen. Aber als neutraler Kleinstaat müssen wir darauf achten, auf Distanz zu bleiben und nicht zwischen die grossen Blöcke zu geraten. Die Schweiz ist wendig und erfolgreich, und wir fahren sehr gut damit, wenn wir so eigenständig wie möglich unsere Hausaufgaben erledigen. Dazu gehört auch eine glaubwürdige Armee mit einem substanziellen Abwehrdispositiv im Cyber-Bereich, in der Luft und am Boden. Wir erleben gerade einen Bruder-Klaus-Moment. Das gilt nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich. Schauen Sie sich um: Die Entwicklungen in der EU machen mir grosse Sorgen.

 

Weltwoche: Sie haben angekündigt, den Text der EU-Verträge sehr genau zu lesen. Werden Sie als Bundesrat die Kraft haben, das Abkommen zu bekämpfen, wenn Sie zum Schluss kommen sollten, die Interessen der Schweiz würden nicht gewahrt.

Ritter: Ich kann mich nicht zu einem Vertrag äussern, wenn ich den Text und die entscheidenden Formulierungen nicht selbst gelesen habe. Für mich ist klar: Sobald die Botschaft steht, wird die Vernehmlassung eröffnet, und sämtliche kritischen Einwände werden gesammelt. Je nachdem, wie diese Vernehmlassung ausfällt und wie breit sich der Widerstand abzeichnet, muss der Bundesrat, wie das üblich ist, nochmals über die Bücher – ergebnisoffen.

 

Weltwoche: Ergebnisoffen? Es wäre doch viel einfacher für den Bundesrat, die Verträge direkt ans Parlament weiterzuleiten.

Ritter: Mag sein. Aber dann könnte sich der Bundesrat die Vernehmlassung gleich sparen, die Verträge müsste er ja dann auch nicht lesen. Die heisse Kartoffel direkt weiterzureichen – das entspricht nicht meiner Vorstellung von Regierungsarbeit.

 

Weltwoche: Mit Elisabeth Baume-Schneider und Beat Jans sitzen zwei Vertreter einer Partei im Bundesrat, die immer noch die Armee abschaffen will. Können Sie die SP in sicherheitspolitischen Fragen noch ernst nehmen?

Ritter: Das tut mir schon auch weh, zu sehen, wie eine Bundesratspartei über die Armee denkt. Andererseits gilt es, diese Meinungen zu akzeptieren. Wie Beat Jans und Elisabeth Baume-Schneider darüber denken, weiss ich nicht. Aber die SP-Vertreter sind zwei von sieben Bundesräten. Das Gesamtgremium sollte in der Lage sein, die richtigen Entscheide zugunsten der Armee zu treffen.

 

Weltwoche: Das heisst, Sie sehen sich klar im bürgerlichen Block des Bundesrats?

Ritter: Auch im Bundesrat ist das Blockdenken fehl am Platz. Natürlich soll man seine politische Herkunft nicht verleugnen. Aber dem Bundesrat muss es um die Sache gehen, um die Schweiz und um die Bevölkerung.