Tbilisi
Tiflis, Tbilisi, die Stadt der heissen Quellen, ist hügelig, ein verwittertes Idyll. Malerische Hausfassaden, fast im Kolonialstil, an Asien erinnernd, stehen neben Glaspalästen, das Wetter, kühl, sonnig, eine Millionenstadt in einem Kleinstaat von vier Millionen Einwohnern.
Am Freitag traf ich den Premierminister, Irakli Kobachidse, 47 Jahre jung, Seit 2024 im Amt. Der Jurist, der in Düsseldorf seine Dissertation verfasste, sieht aus wie eine jüngere Variante von Javier Milei. Seine Partei Georgischer Traum ist eine Schöpfung des interessanten georgischen Milliardärs Bidsina Iwanischwili.
In unseren Medien gelten Iwanischwili und Kobachidse als Bonsai-Putins, Kremlknechte und Handlanger des Fürchterlichen. Mein Eindruck ist das nicht. In unserem Gespräch erklärt Kobachidse, besonnen, ruhig sprechend, jedes provokative Wort vermeidend, sieht man ab vom Adjektiv «lächerlich», das ab und zu fällt, ihm liege die Unabhängigkeit Georgiens am Herzen, eines Kleinstaats mit einem übermächtigen Nachbarn. Man wolle mit Russland keinen Krieg, aber man wolle sich die Russen auch nicht zum Feind machen.
Ist Georgien eine Art Schweiz des Kaukasus? Sicher nicht, was die Wirtschaft angeht. Aber die Aussenpolitik des Ausgleichs der Offenheit, des sich alle diplomatischen Fluchtwege Offenhaltens hat etwas Schweizerisches. Das, so scheint mir, wird in unseren Nato- und Kriegsmedien rasch als Kuschelkurs mit dem Kreml diffamiert.
Kobachidse spricht eindringlich davon, dass Georgien seit seiner Unabhängigkeit vor dreissig Jahren vier Kriege erlebt habe, darunter mehrere mit Russland, wobei im letzten, 2008, der damalige, heute wegen mutmasslicher Verbrechen während seiner Amtszeit verhaftete Präsident Michail Saakaschwili leider auch mit einer zu aggressiven, abenteuerlichen Politik eine unglücksvolle Rolle spielte, wie ein Bericht der Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini minutiös bewies.
Kobachidse erwähnt den massiven Druck, den die EU und andere Vertreter der, wie er es nennt, «globalen Kriegspartei», auf Georgien ausgeübt hätten, um den Staat in den Ukraine-Krieg hineinzuziehen. Dass sein Land von der EU auf Distanz geschoben worden sei, nur weil seine Regierung diesen selbstmörderischen Konfrontationskurs nicht mitmache – inzwischen zeige sich erst, wie richtig das gewesen sei –, findet der Premierminister unverständlich.
Die Medien, vor allem die in Westeuropa, seien Teil dieser kriegerischen Fake-News-Internationale, die Georgien als Russland-Komplize und seine Regierung als zusehends undemokratisch verunglimpfe. Beides weist er entschieden zurück. Auch verteidigt er seine Entscheidung, von den ausländisch finanzierten Nichtregierungsorganisationen in seinem Land die Offenlegung ihrer Geldquellen abzuverlangen. Die NGOs, das zeigen jetzt auch Trumps Enthüllungen zur US-Entwicklungshilfe, seien politische Agenturen. Schon viermal hätten sie versucht, sagt der Premier, in Georgien eine Revolution anzuzetteln.
Georgien hat den EU-Beitritt als strategisches Ziel in seiner Verfassung. Daran halte er fest, ebenso an der Verfassungspflicht, bei der Nato mitzumachen. Allerdings wirkt Kobachidse nicht unglücklich, angesichts der Erfahrungen in der Ukraine, dass diese Annäherung derzeit überhaupt kein Thema ist.
Meine nächste Station führt mich an die Grenze zu den abtrünnigen georgischen Regionen, in denen heute, nicht weit von der Hauptstadt entfernt, russische Panzer und Militärlager stehen. Georgien, mit rotem Kreuz auf weissem Grund im Wappen, unterhält keine direkten diplomatischen Beziehungen zu Russland. Die Interessenvertretung übernimmt die Schweiz, weisses Kreuz auf rotem Grund.
Zwei Kleinstaaten, zwei nicht ganz wesensunterschiedliche Strategien. Georgien wäre gerne neutral wie die Schweiz, sagte der Premierminister. Ich werde ihn nochmals treffen, um das noch eingehender zu besprechen, doch zuerst die Reise ins Konfliktgebiet sowie der Besuch in Gori, der Geburtsstadt des berühmtesten und berüchtigtsten Georgiers der Welt – Stalin.
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