Es läuft nicht gut für Friedrich Merz. In den Umfragen liegt der Kanzlerkandidat von CDU/CSU bei rund 30 Prozent deutlich vorn, doch «komfortabel» kann man den Vorsprung nun wirklich nicht nennen. Denn einerseits sitzt der Union die AfD im Nacken, die auf gut 20 Prozent in den Umfragen kommt, von Merz aber immer wieder mit markigen Worten als Kooperationspartner grundsätzlich ausgeschlossen wird.
Andererseits sind die verbleibenden denkbaren Koalitionspartner SPD (15 Prozent) und Grüne (13 Prozent) so schwach, dass Merz im Grunde keinen Wahlkampf gegen die beiden Parteien machen kann, will er sich nicht in eine Situation bringen, in der es nur noch mit beiden zusammen für eine Regierungsmehrheit reicht. Nichts würde die Union näher an den politischen Abgrund bringen als eine schwarz-rot-grüne Koalition mit den beiden Wahlverlierern der abgewählten Ampelkoalition.
Und jetzt fliegt dem stolzen bürgerlichen Transatlantiker Merz auch noch seine tief, geradezu genetisch eingepflanzte Westbindung um die Ohren: Rechte Parteien, die sich gegen die Einwanderung engagieren, aus Regierungskoalitionen herauszuhalten, liess US-Vizepräsident J. D. Vance kurz vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz wissen, schränke den Willen der Bevölkerung ein, die immer wieder mehr Grenzkontrollen fordere, erklärte Vance im Wall Street Journal, und ergänzte: «Ich denke, dass der Wille der Wähler leider von vielen unserer europäischen Freunde ignoriert wurde.»
Die geradezu als antifaschistisches Bekenntnis vor sich her getragene Absage an die AfD wird nun ausgerechnet von der neuen US-Regierung als volksfeindlicher Irrweg offen kritisiert. Erst wirbt Trumps Vertrauter Elon Musk offen für die AfD, jetzt müsste Merz Vance’ Einlassung eigentlich als schlimmen Rechtspopulismus zurückweisen und damit auf Kontra zum wichtigsten Verbündeten gehen. Botschaft: Der Zeitgeist weht rechts, die Union segelt links ins Abseits.
Der deutsche Wahlkampf biegt in die Zielgerade der letzten Woche ein, und auch für den Nochkanzler Olaf Scholz (SPD) läuft es nicht gut. Er beschimpft beim Wein den schwarzen Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) als «Feigenblatt» und «Hofnarren» der Union, die er damit indirekt als Rassistenverein diffamiert, der sich einen Migrationshintergründler zur Irrführung der Öffentlichkeit hält.
Und dann sind da noch die Anschläge von Migranten in Magdeburg, Aschaffenburg und München, die zwar den Scholz-Skandal verblassen lassen, aber die gesamten etablierten Parteien in eine immer hohlere Trauer-Routine zwingen, die die Macht- und Planlosigkeit der deutschen Migrationspolitik nur noch deutlicher zum Vorschein bringen und Wasser auf die Mühlen der AfD sind. Motto: Wenn die Realität die vermeintlich Falschen bestätigt, liegen die Falschen wohl richtig.
FDP-Chef Christian Lindner kämpft um das Überleben (4 Prozent) der Liberalen im Parlament, und Grünen-Frontmann Robert Habeck nennt sich zwar Kanzlerkandidat, kommt aber mit seinen Ökos nicht ins Fliegen.
Im Grunde läuft es nur für eine: AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel steuert in den Umfragen auf Platz zwei im deutschen Parteienspektrum zu, kann sich über Unterstützung aus den USA, wohlwollenden Empfang von Ungarns Premier Viktor Orbán und Millionenspenden freuen, die die Schlechterstellung ihrer Partei bei der Parteienfinanzierung ein wenig ausgleichen. Ihre TV-Auftritte werden erkennbar unaggressiver, freundlicher, die medialen Breitseiten heftiger.
«Es rumort in der Tiefe, und der Boden schwankt leise. Wohin führt das alles? Wir versuchen, dem gänzlich Neuen mit den alten Mitteln beizukommen. Und werden seiner nicht Herr», schrieb Kurt Tucholsky vor gut hundert Jahren, 1920. Es stimmt noch immer.
Ralf Schuler war mehr als zehn Jahre Leiter der Parlamentsredaktion von Bild und ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS. Er betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch „Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens“ ist im Fontis Verlag, Basel erschienen.
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