Man stelle sich vor: Journalisten sehen auf Twitter eine Kolonne russischer Luftlandepanzer, die in einem Handyvideo von links nach rechts fahren. Angeblich sind es Bilder von gestern, und sie sollen aus Weissrussland stammen. Praktisch gleichzeitig kündigt Moskau an, dass Russland «deeskalieren», seine militärischen Aktivitäten im ukrainischen Norden reduzieren und sich vermehrt auf den Osten konzentrieren wolle.
Dieselben Journalisten glauben sich erinnern zu können: Fuhren die russischen Panzer bei ihrer Invasion damals auf Twitter nicht von rechts nach links, also von Weissrussland Richtung Ukraine? Und schliessen daraus messerscharf: Die Russen ziehen sich bei Kiew nun offensichtlich zurück und bringen ihre Truppen ausser Landes. Sofort reden sie von einem Teilabzug oder behaupten gar, Putin gebe im Kampf um Kiew nach.
Das ist – etwas überspitzt ausgedrückt – das Niveau der Analyse. Dabei lässt im Moment nicht das Geringste auf eine Abnahme der russischen Militäraktionen im Norden schliessen. Die Ukrainer haben die Russen inzwischen zwar aus einigen Vororten von Kiew hinausgeworfen, der wichtige Flughafen Hostomel nordwestlich der Hauptstadt bleibt aber vorerst unter Kontrolle der Invasoren. Auch der Artillerie- und Raketenbeschuss nahm in Kiew bisher nicht ab. Selbst die renommierte amerikanische Denkfabrik Institute for the Study of War schrieb gestern, dass die russischen Truppen ihre Angriffe auf die Hauptstadt Kiew noch nicht aufgegeben hätten.
Gerade die russischen Eliteeinheiten, zum Beispiel die in Hostomel eingesetzten Luftlandetruppen, sind von den Ukrainern grausam dezimiert worden. Wenn sich ausgeblutete Verbände jetzt nach Weissrussland zurückziehen, kann das auch Teil einer Rotation sein: Erschöpfte Truppen ziehen ab und werden durch frische Einheiten ersetzt. Bisher gibt es keine Anzeichen, dass die Kämpfe bei Kiew abflauen. Die Ukrainer haben dort zwar die Oberhand gewonnen, doch ist das nur ein Etappensieg. Noch ist die Schlacht nicht entschieden.
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