Der politische Alltag in Deutschland nimmt immer fragwürdigere Formen an.
Am 10. März griff sogar die Bundesbank in die aktuellen politischen Diskussionen ein und proklamierte ein Zwölf-Punkte-Wirtschaftsprogramm. Man stelle sich vor, die Schweizerische Nationalbank (SNB) würde unseren Bundesräten einen wirtschaftspolitischen Kurs verordnen, unvorstellbar.
Als Plattform nutzte Joachim Nagel, der Bundesbankpräsident und EZB-Ratsmitglied, seinen Auftritt als Redner an der Berlin School of Economics, in der Humboldt-Universität in Berlin.
Wie die Politiker übernahm er das derzeit in Deutschland vorherrschende Narrativ zur Rechtfertigung eines neuen Verschuldungstsunamis: «Persönlich bin ich der Meinung, dass aussergewöhnliche Zeiten aussergewöhnliche Massnahmen erfordern», sprach Nagel. Und gab gleichzeitig seinen Segen zu den geplanten Milliarden-Sondervermögen: «In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass aussergewöhnliche Zeiten auch aussergewöhnliche fiskalische Massnahmen rechtfertigen.»
Dass der Bundesbankpräsident das Credo der Bundesregierung nachbetet, verwundert nicht, denn der frühere Referent für Wirtschafts- und Finanzpolitik beim SPD-Parteivorstand wurde ja 2022 von der Ampel-Koalition für eine achtjährige Amtszeit gewählt.
Immerhin räumte Nagel ein, dass höhere Verschuldungsspielräume allein die Wachstumsschwäche Deutschlands nicht beheben würden und mehr Schulden auch steigende Zinslasten und weniger Haushaltsspielräume in der Zukunft bedeuten. Die Ursachen für die Wirtschaftsschwäche Deutschlands seien vielschichtig und sässen tief.
Sie erforderten daher ein Bündel an Massnahmen, darunter viele, bei denen die Finanzierung gar nicht im Vordergrund stehe.
Was empfahl Nagel der Bundesregierung?
Er hat seine Empfehlungen in drei Themenblöcken präsentiert: höheres Arbeitsangebot, Umbau hin zur Klimaneutralität und mehr Dynamik im Unternehmenssektor.
Wie soll das Arbeitsangebot erhöht werden?
Auch Nagel kommt nicht über das Mantra der Gutmenschenpolitiker hinaus, die mehr arbeitsmarktorientierte Einwanderung fordern. Zudem schlägt er höhere Arbeitspensen für Teilzeitbeschäftigte, insbesondere für Frauen, vor. Fehlanreize im Steuer- und Abgabensystem sollten deshalb korrigiert werden.
Allerdings müssten auch allein für Kinder unter drei Jahren 321.000 Betreuungsplätze geschaffen werden. Drittens sollen die Arbeitsanreize für Bürgergeldempfänger verbessert werden. Viertens soll der vorgezogene Rentenzugang weniger attraktiv werden und das Rentenalter nach 2031 an die Lebenserwartung geknüpft werden. Damit sollen ältere Menschen, oft sehr qualifizierte Arbeitskräfte, länger im Arbeitsprozess gehalten werden.
Was Nagel bei seiner Rede an einer Universität wohl nicht zu sagen wagte: Statt handwerkliche Berufsleute auszubilden, fördert die EU und Deutschland vor allem die Akademisierung. Dennoch befinden sich sechzehn der zwanzig forschungsintensivsten Universitäten in Europa in Grossbritannien und der Schweiz und nicht in der EU.
Hochschulabgänger mit wenig produktiven Studienabschlüssen landen dann nicht selten beim Staat. 2024 untersuchte die EU, welche Art von Fachkräften dringend benötigt werden: Giesser und Schmiede, Klempner und Röhrenleger, Lastwagenfahrer, Spezialärzte, Metall- und Maschinenbauer, Bodenleger, Automechaniker, professionelle Pflegekräfte, Kellner, Dachdecker, Lüftungs- und Kältetechnikmechaniker, Bauarbeiter.
Auch die Bundesbank unterstützt einen klima- und wirtschaftsfreundlichen Umbau des Energiesektors. Die Politik sollte für die Energiewende einen verlässlichen und konsistenten Rahmen aufzeigen. Wegen des langen Planungshorizonts und der hohen Investitionen sei dies das Fundament einer erfolgreichen Energiewende. Die Politik müsse aufzeigen, wie erneuerbare Energien aus dem Inland und Energieimporte in Zukunft zusammenwirken sollen.
Die deutsche Stromsteuer soll auf das europäische Mindestmass gesenkt werden. Alle Sektoren sollten einem einheitlichen CO2-Preis unterworfen werden. Die CO2-Bepreisung würde die Verwendung von grünen Technologien attraktiver machen und die Energieeffizienz der Produktion steigern. Klimaschädliche Subventionen sollten abgeschafft werden.
Wie will Nagel die schwachen Unternehmensinvestitionen, das rückläufige Produktivitätswachstum und die nachlassende Unternehmensdynamik wieder beleben? Auch die Bundesbank fordert einen Bürokratieabbau.
Das Regelungsdickicht müsse regelmässig durchforstet werden. Dabei sei zu prüfen, ob die Regeln ihr Ziel effizient erreichen und ob es bessere Instrumente gibt. EU-Vorgaben sollen möglichst bürokratiearm und ohne «Gold-Plating» (zusätzliche nationale Verschärfung) umgesetzt werden.
Unternehmensgründungen sollen erleichtert und die Innovationskraft gestärkt werden. Die Hindernisse für grenzüberschreitende Dienstleistungen, auch im Finanzsektor, müssten beseitigt werden, um die Grössenvorteile Europas voll ausschöpfen zu können.
Beschleunigte Abschreibungen für einen bestimmten Zeitraum werden als Anreiz bevorzugt. Um international tätige Unternehmen nach Deutschland zu locken, dürfte eine Senkung des tariflichen Körperschaftsteuersatzes am effektivsten sein.
Diese Massnahme hätte allerdings auch hohe Steuerausfälle zur Folge.
In jedem Fall sinnvoll wäre es, die Besteuerung von Unternehmen einfacher und effizienter zu gestalten. Verwaltungsprozesse sollen durch Digitalisierung, Automatisierung und Standardisierungen vereinfacht werden.
Vorgaben für die maximale Dauer bis zu einer Entscheidung würden zu mehr Planbarkeit für den Antragsteller führen. Diese Vorgaben sollten mit einem vereinfachten Schadensersatz bei Überschreitungen einer Frist verknüpft werden. Ob damit die Betriebsaufgabe von 500.000 Mittelständlern, die gemäss einer KfW-Studie bevorsteht, noch ausgebremst werden kann, ist zu bezweifeln. Sie wissen, woran es liegt: Es lohnt sich nicht mehr, in Deutschland Unternehmer zu sein. Die Steuern, die Energiekosten und die Löhne sind zu hoch, die Arbeitszeiten zu kurz.
Fazit: Die wachsende Schulden- und Zinslast der EU-Länder wird auch den Handlungsspielraum der EZB einengen. Sie kann ihre Leitzinsen nicht mehr unbegrenzt erhöhen, weil sonst einige Länder die Zinslast nicht mehr bewältigen können. Auch die Folgen für die Inflation blieben unerwähnt, obwohl solche übermässigen Fiskalpakete, wie in der Corona-Pandemie erlebt, zu einem markanten Inflationsschub führen können.
Seit Ende 2020 bis heute stellte sich die Teuerung in Deutschland auf 24 Prozent. Ob die Sonderschulden dann tatsächlich in Infrastrukturbauten oder in Investitionen in die «Integration» und «die Soziale Sicherheit» fliessen, wurde nicht hinterfragt. Die schädlichen staatlichen Eingriffe in den Wohnungsbau oder die hohe Belastung der Staatshaushalte durch die unqualifizierte und massive Immigration blieben ebenfalls unerwähnt.
Wenn schon die Studentenschaft derart einseitig indoktriniert wird, dann muss man sich über die heutige Politik und den damit verbundenen Wohlstandsverlust nicht wundern.
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