Dieser Text erschien erstmals in der Ausgabe vom 16. Oktober 2024. Heute, am 25. Februar 2025, hat Armee-Chef Thomas Süssli seinen Rücktritt bekanntgegeben.

Eine Hiobsbotschaft folgt der nächsten: Am 9. Oktober gab das Verteidigungsdepartement (VBS) bekannt, die Beschaffung neuer schultergestützter Panzerabwehrwaffen RGW 90 aus Deutschland erfolge erst 2026 – also mit einem Jahr Verspätung. Und dies nicht etwa weil die Herstellerfirma diese wichtigen, von der Infanterie mobil einzusetzenden Boden-Boden-Lenkwaffen nicht pünktlich liefern könnte. Sondern weil die Schweiz mit Deutschland vereinbart hat, dass die bestellten Waffen stattdessen an die Ukraine gehen sollen. Das ist nicht das erste Mal: Im Juni 2022 musste die Armee auf die Lieferung der entsprechenden Mehrzweckwaffen zugunsten von Grossbritannien verzichten. Damit dieses Land seinerseits seine entsprechenden Waffenvorräte an die Ukraine abtreten und seine Lager wieder auffüllen konnte.

Das VBS und das von ihm geleitete Bundesamt für Rüstungsbeschaffung beeilten sich, zu behaupten, diese obskure Waffenschieberei sei mit den Verpflichtungen der Neutralität vereinbar. Sie falle nämlich nicht unter die Bestimmungen des Kriegsmaterialgesetzes, weil sich die Systeme zu keinem Zeitpunkt in der Schweiz befänden. In Wahrheit verbietet das Gleichbehandlungsgebot bei Waffenlieferungen gemäss geltenden Haager Verträgen für die Neutralen von 1907 eine solche Bevorzugung eines Kriegführenden – auch als indirekte Schlaumeierei. Und hier geht es nicht um die Neutralitätspolitik, sondern ans Eingemachte des Neutralitätsrechtes, also um die Verletzung von geltendem Völkerrecht.

 

«Vorläufig suspendiert»

Vor allem aber ist es angesichts der geopolitischen Lage ganz einfach unverantwortlich, dass die Schweizer Armee nicht auf die raschmöglichste Lieferung dieser Waffen besteht. Denn mit den gekauften Lenkwaffen müssten die eklatanten Lücken ihrer Verteidigungsfähigkeit wenigstens ein Stück weit gefüllt werden. Wo doch Armeechef Thomas Süssli klagt, die Schweiz könne sich heute nur wenige Wochen lang verteidigen. Am 10. Oktober wurde einzig aufgrund von Recherchen von Radio SRF bekannt, dass ein 314-Millionen-Projekt für die Luftraumüberwachung «vorläufig suspendiert» werden müsse. Zwar hat das Parlament die Beschaffung des Systems C2Air eines französischen Herstellers bewilligt. Doch nun ergeben sich offenbar Schwierigkeiten in der technischen Kompatibilität mit der digitalen Plattform der Armee. Damit verschiebt sich die Inbetriebnahme der sicherheitspolitisch entscheidenden Modernisierung der Luftraumüberwachung womöglich bis 2030. Auch dieses Beschaffungsprojekt gerät also zum Fiasko. Und so steigt das Risiko eines Ausfalls der Luftraumüberwachung infolge veralteter Systeme. Das Verteidigungsdepartement hielt es nicht für nötig, das Publikum von sich aus über diese Pleite zu informieren.

Bei Kampftruppen hat Süssli niemals Dienst geleistet und solche auch niemals kommandiert.

Dafür brüstete sich das Departement, Armeechef Thomas Süssli habe am 7. Oktober «in Brüssel dem Nato-Militärausschuss die Massnahmen der Armee zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit» präsentiert. Er stellte dort ein Armeedokument vom August 2023 vor. Statt angesichts sich häufender Pannen im eigenen Land für die Verteidigungsfähigkeit zu sorgen, schwingt Süssli grosse Reden vor ausländischen Generälen. Ist die Schweiz eigentlich bezüglich ihrer Landesverteidigung gegenüber der Nato bereits rechenschaftspflichtig?

 

Klimafreundliche Panzertruppe?

Eine weitere Information löste bei Freunden und Gegnern von Armeechef Thomas Süssli hochgradige Irritationen aus. Er amtet nämlich im achtköpfigen Advisory Board des neuen Executive-Programms der «NZZ Academy» – und wird dort ausdrücklich als «Chef der Schweizer Armee» beworben. Dieses kommerzielle Projekt verheisst für CEOs und Verwaltungsräte während viereinhalb Tagen eine 13 500 Franken teure Hilfe, «um fundierte Entscheidungen für ihr Unternehmen zu treffen». Die NZZ Academy preist sich selber als «Leuchtturm für Orientierung, Klarheit und Handeln» an; sie helfe «Entscheidungsträgern, in einer volatilen Welt erfolgreich zu navigieren».

Ist eine solche privatwirtschaftliche Nebentätigkeit mit der beruflichen 100-Prozent-Anforderung und einem Gehalt von gegen 400 000 Franken zu vereinbaren? Und ist diese Bevorzugung eines einzelnen Medienhauses für einen Armeechef sicherheitspolitisch geschickt, zumal die NZZ sich dezidiert gegen die überlieferte bewaffnete Neutralität und stattdessen für eine rasche Annäherung an die Nato ausspricht? Darf ein Armeechef aufgrund seiner Funktion einer Firma einen kommerziellen Vorteil verschaffen? Hätten frühere höchste Offiziere in Süsslis Stellung mit Namen wie Senn, Zumstein, Lüthy oder Häsler ein solches Mandat angenommen? Die Frage stellen heisst sie verneinen.

Als VBS-Chefin Viola Amherd (Mitte) im Herbst 2019 die Ablösung von Armeechef Philippe Rebord ankündigte, hätten Kenner keinen Pfifferling auf einen Nachfolger wie Thomas Süssli gewettet. Dieser war erst seit vier Jahren Berufsmilitär und zog hierarchisch an zwei Korpskommandanten und achtzehn Divisionären vorbei. Der damals 53-Jährige war als Sanitätssoldat ausgehoben worden und hatte ein Spitalbataillon und dann die Logistikbrigade 1 geführt, welcher auch das Sanitätswesen unterstellt ist. Bei Kampftruppen hingegen hat Süssli niemals Dienst geleistet und solche auch niemals kommandiert. Der gelernte Chemielaborant und spätere Wirtschaftsinformatiker, der dann ein MBA an der Fachhochschule Chur absolviert hat, wechselte auffallend oft den Job in der Bank- und Finanzbranche, zuletzt nach nur gerade neun Monaten bei Vontobel, wo er die Asien-Expansion hätte vorantreiben sollen.

Warum Amherd den umgänglichen, wenig profilierten, weitgehend unbekannten Thomas Süssli gewählt hat, bleibt vielen Beobachtern bis heute ein Rätsel. Gewiss herrschte damals im Osten Europas und im Nahen Osten noch tiefster Frieden. Und die seit 2019 amtierende Departementschefin setzte in der Armee ihre eigenen Schwerpunkte: Amherd testete «die beiden spezifischen Funktionsunterwäscheteile der Frauen – eine kurze Unterwäsche (Sommer) und eine lange Unterwäsche (Winter)». Einen weiteren Pflock ihrer Amtsführung setzte sie mit dem «Aktionsplan Energie und Klima VBS». Neuerdings werden für die Flotte der leichten Betriebsfahrzeuge nur noch Autos mit E-Antrieb beschafft. In Thun werkelt man ausserdem an einem Pilotprojekt mit je zwei Lastwagen mit Elektro- und Wasserstoffantrieb. Ob demnächst auch die Panzertruppe klimafreundlich mit Ladestationen unterwegs ist, wird sich weisen.

Es ist denkbar, dass Amherd glaubte, in Thomas Süssli einen ausgesprochenen Cyber-Spezialisten gefunden zu haben. Der Kampfauftrag der Landesverteidigung stand jedenfalls bei der Wahl des Sanitäts- und Logistikspezialisten nicht im Vordergrund. Möglicherweise war es der Verteidigungsministerin durchaus recht, dass kein in der Armee breit anerkannter und abgestützter höherer Stabsoffizier an die Armeespitze trat. Ein solcher hätte möglicherweise den Mut gehabt, der Chefin zu widersprechen – aktuell etwa bei der ständigen Hinausschiebung von Rüstungskäufen zugunsten der Ukraine. Auch den unwürdigen Panzerdeal mit Deutschland, welcher die Schweiz von 25 stillgelegten, aber einsatzfähigen Panzern Leopard 2 entblösste und der eine indirekte Waffenlieferung an die Ukraine darstellte, hätte ein starker Armeechef kaum widerstandslos abgenickt.

 

Von Cassis abgekanzelt

Seit Süssli von einem «Liquiditätsengpass» bei der Armeefinanzierung gesprochen und ihn Bundespräsidentin Amherd wie ein verirrtes Lamm scharf zurückgepfiffen hat, ist es um seine Reputation als Finanzkenner wie als Kommunikator geschehen. Obendrein kanzelte ihn Bundesrat Ignazio Cassis (FDP) vor versammelter Offiziersgesellschaft deswegen wie einen Schulbuben ab: «Entweder ändern wir die Lage, oder wir ändern den Chef.» Die Liquidierung von Flugshows und der populären Patrouille Suisse oder Grossanlässen der Bodentruppen lässt Süssli widerstandslos zu. Bei Ausbruch des Ukraine-Kriegs hat Viola Amherd bei den sicherheitsrelevanten Sitzungen den Armeechef überhaupt nicht beigezogen, was die Geschäftsprüfungsdelegation ausdrücklich rügte. Für Stirnrunzeln sorgte auch, dass Süssli als ranghöchster Kenner der Schweizer Armee nicht einmal in Amherds handverlesene Studienkommission zur Planung der künftigen Sicherheitspolitik Einsitz nehmen durfte. Mangelnde Zeit dürfte als Begründung kaum infrage kommen. Immerhin findet der Armeechef ja genügend Musse, um beim Beratergremium der NZZ Academy mitzutun.

Nach bald vier Jahren des Armeekommandos von Thomas Süssli herrscht bezüglich Tauglichkeit der Truppe zum Kämpfen nach wie vor riesiger Handlungsbedarf. Dies ist nicht irgendein Urteil, sondern jenes von Korpskommandant Laurent Michaud, Chef Kommando Operationen. Unsere Soldaten seien grossenteils nicht mehr in der Lage, ein Duell zu gewinnen und Gewalt und ihre Folgen zu bewältigen. Von den gegenwärtig siebzehn Infanteriebataillonen gelten gerade einmal sechs als vollständig ausgerüstet. Bei der Lieferung von israelischen Aufklärungsdrohnen kam es zu Verzögerungen und Fehlern. Die übereilt zentralisierte Logistik ist noch längst nicht wieder dezentralisiert. Auch die Planung der Bestände läuft keineswegs rund. Die geplanten 140 000 Wehrmänner werden bis 2030 bei weitem nicht erreicht, wobei nur gerade gut 20 000 für den Kampfeinsatz taugen.

Sorgen machen sich Armeefreunde nicht zuletzt um die mangelnde Sichtbarkeit von Korpskommandant Süssli in der Romandie. Er spricht gut Englisch, aber ungenügend Französisch. Auch darum ist er in militärisch ernsteren Zeiten eine Fehlbesetzung. Zwar muss ein Armeechef das Primat der Politik anerkennen. Dennoch darf und soll er wie ein Löwe für die Erfüllung seines Auftrags kämpfen – nicht nur beim Departementschef, sondern auch bei den übrigen Bundesräten. Süsslis Hauptauftrag besteht in der Verteidigung des Landes und seiner Bevölkerung. So wollen es nicht nur Verfassung und Militärgesetz, sondern auch das Völkerrecht. Wenn er dazu nicht befähigt ist oder nicht befähigt wird, muss er sich von seinem Auftrag entbinden lassen. Angesichts der heutigen sicherheits- und armeepolitischen Herausforderungen ist Thomas Süssli der falsche Mann.