Die Union unterliegt einem fatalen Irrtum. Sie glaubt, denjenigen, die konservative, «rechte», Politik und einen Politikwechsel wollen, vorschreiben zu können, dass sie ausschliesslich Union wählen müssen, um das Gewünschte zu bekommen, weil Mehrheiten mit der AfD von CDU/CSU ausgeschlossen werden.
Mit anderen Worten: Lieber Wähler, wenn du rechts willst, musst du zu uns kommen, oder du bekommst links. Eine interessante Mischform aus gelenkter Demokratie und freier Wahl. Dabei übersieht CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz zweierlei:
Zum einen bekämpft er mit seinen markigen Ausschluss-Ansagen nicht «die AfD», sondern er bekämpft rund 20 Prozent der Wähler. Er bekämpft konkrete Menschen, Nachbarn, Kollegen, Verwandte draussen im Land und schickt sie gewissermassen für parteipolitisches «Falschwählen» in die Wüste.
Und zweitens: Abstrakt sind solche Absagen von scheinriesenhafter Mutigkeit. Eng wird es für die Union, wenn der AfD-Ausschluss zu konkreter linker Politik führt. Zu Tempolimit, autoritären Klimaschutz-Ansagen, Inflation, Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit. Dann wird das Desaster auf die mutwillige politische Lieferblockade der Union zurückfallen. Linke und Grüne werden keine Hemmungen haben, ihre Minderheitsagenda mit der Brutalität missionsbeseelter Ideologen durchzusetzen.
Nach dem Abstimmungseklat im Bundestag, den Gegendemonstrationen und dem CDU-Parteitag wird klar: Die Macht der Altkanzlerin schwindet – zumindest in der Union. Es sind etwa zwölf Merkel-Getreue, die Merz die Gefolgschaft verweigert haben, und viele davon verlassen auch noch nach der Wahl die politische Bühne.
Die Konservativen um Merz, Generalsekretär Carsten Linnemann und Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei werden stärker, haben der Partei im Grundsatzprogramm einen neuen postmerkelistischen Grundkompass verliehen, der allerdings erfolgsabhängig ist. Brechen die Wahlwerte der Union am 23. Februar ein, lässt sich keine oder nur eine linke Regierung unter Führung der Union bilden, so wird der jetzt auffällig loyale NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst seinen Anspruch anmelden und erklären, dass Soft-Merkelismus die bessere Variante gewesen wäre.
Und noch etwas steht dem konservativen Rollback von Merz und Co. bei der Etablierung ihrer Macht im Weg: sie selbst. Mit dem rabiaten Ausschluss von AfD-Kooperationen jeglicher Art zeigen sie einen limitierten und an Vorbedingungen geknüpften Machtwillen. Das ist in der Arena der ersten politischen Liga zu wenig.
Der Zeitgeist weht rechts, doch die Merz-Union blickt zu Teilen angewidert auf den Trend, der auch sie tragen könnte. Sie will kein politischer Dienstleister des Wählers sein, sondern glaubt, sich die Stimmen aussuchen zu können. Ein riskantes Spiel, von dem selbst in der Spitze der Union nicht alle überzeugt sind, ob es gutgeht. Von Trump lernen hiesse siegen lernen. Von Merz lernen heisst, besser zu wissen, was für die Wähler gut ist.
Ein spannendes und leider auch sehr riskantes Echtzeit-Experiment im Deutschland-Labor.
Ralf Schuler war mehr als zehn Jahre Leiter der Parlamentsredaktion von Bild und ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS. Er betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch „Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens“ ist im Fontis Verlag, Basel erschienen.
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