Wenn in Deutschland Politiker, Medien und hochgradig politisierte Staatsanwälte ihre berühmte Haltung zeigen, dann müssen Richter immer häufiger den Schaden reparieren.
Die Stadt Essen etwa versuchte, den für Ende Juni geplanten AfD-Bundesparteitag in der Essener Grugahalle zu verhindern: Sie verlangte eine mit einer halben Million Euro Strafe bewehrte Selbstverpflichtung der Partei, dass dort keine strafbaren Äusserungen fallen dürften.
Als die AfD das ablehnte, kündigte die Kommune den Vertrag. Damit, urteilte nun das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, verhält sie sich rechtswidrig.
Kurz vorher hatte das Landgericht München entschieden, dass Videos nicht mehr unverpixelt veröffentlicht werden dürfen, die eine Handvoll junge Leute zeigen, wie sie auf einer Sylt-Party «Ausländer raus» skandieren. An dem medialen Pranger hatte sich nicht nur die Bild-Zeitung beteiligt, sondern auch der öffentlich-rechtliche WDR.
Fast zeitgleich sprach das Landgericht Köln Michael Z. frei: Der Blogger hatte auf einer Seite besonders autoritäre Prominentenäusserungen aus der Corona-Zeit zusammengetragen – ausnahmslos aus öffentlich zugänglichen Quellen. Die Staatsanwaltschaft machte darin eine sogenannte Feindesliste nach dem neu geschaffenen Gummiparagrafen 126a aus. Aber selbst im Licht dieser Rechtsvorschrift hielten die Richter die Anklage für absurd.
Dass Kommunen ihre Einrichtungen an alle Parteien vermieten müssen, wenn sie grundsätzlich für politische Veranstaltungen offenstehen, gehört zur ständigen Rechtsprechung. Das Persönlichkeitsrecht gilt auch für Privatleute, die den medialen Stempel «Gesellschaftsfeind» erhalten. Dass eine Behörde die Publikation frei zugänglicher Informationen überhaupt verfolgt, dürfte in Westeuropa einmalig sein.
Richter formieren sich immer häufiger zur letzten Verteidigungslinie gegen moralische Exzesse. Zum Glück für den Rechtsstaat. Dass selbsterklärte Kämpfer für Demokratie ihre Gesinnung immer wieder demonstrativ über das Recht stellen, gefährdet die offene Gesellschaft allerdings mehr als alle Extremisten zusammen.
Die Kommentare auf weltwoche.ch dienen als Diskussionsplattform und sollen den offenen Meinungsaustausch unter den Lesern ermöglichen. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass in allen Kommentarspalten fair und sachlich debattiert wird. Scharfe, sachbezogene Kritik am Inhalt des Artikels oder wo angebracht an Beiträgen anderer Forumsteilnehmer ist erwünscht, solange sie höflich vorgetragen wird. Persönlichkeitsverletzende und diskriminierende Äusserungen hingegen verstossen gegen unsere Richtlinien. Sie werden ebenso gelöscht wie Kommentare, die eine sexistische, beleidigende oder anstössige Ausdrucksweise verwenden. Beiträge kommerzieller Natur werden nicht freigegeben. Zu verzichten ist grundsätzlich auch auf Kommentarserien (zwei oder mehrere Kommentare hintereinander um die Zeichenbeschränkung zu umgehen), wobei die Online-Redaktion mit Augenmass Ausnahmen zulassen kann.
Die Kommentarspalten sind artikelbezogen, die thematische Ausrichtung ist damit vorgegeben. Wir bitten Sie deshalb auf Beiträge zu verzichten, die nichts mit dem Inhalt des Artikels zu tun haben.
Das Nutzen der Kommentarfunktion bedeutet ein Einverständnis mit unseren Richtlinien.
Unzulässig sind Wortmeldungen, die
Als Medium, das der freien Meinungsäusserung verpflichtet ist, handhabt die Weltwoche Verlags AG die Veröffentlichung von Kommentaren liberal. Die Online-Redaktion behält sich jedoch vor, Kommentare nach eigenem Gutdünken und ohne Angabe von Gründen nicht freizugeben. Es besteht grundsätzlich kein Recht darauf, dass ein Kommentar veröffentlich wird. Weiter behält sich die Redaktion das Recht vor, Kürzungen vorzunehmen.