Morgen am Brandenburger Tor soll die Demokratie gefeiert werden, statt in ihrem Namen Menschen totzuschiessen.
Weit über 500.000 Unterschriften haben Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht gesammelt für ihr Friedensmanifest, es könnte die grösste Demo werden seit jener legendären von 1982.
Damals kamen 500.000 zusammen im Bonner Hofgarten, und – um gleich mal Goethe zu zitieren – «ich kann sagen, ich war dabei gewesen». Unser Klassiker meinte seine Gegenwart während der Kanonade von Valmy; ich war bei den Demonstranten und sah die grüne Gallionsfigur, den Künstler Joseph Beuys, wie er «Lieber Sonne als Reagan» sang, also eher unbeholfen hampelte, aber es kam auf was anderes an. Präsident Reagan hielt sich nämlich auch in Bonn auf, um über die Nachrüstung zu verhandeln im Kalten Krieg.
Wie die Zeiten sich ändern.
Damals haben die Grünen die Demo organisiert, diesmal wird gegen sie demonstriert, besonders gegen die grüne Aussenministerin, die den Russen ein für alle Mal die Beine wegschlagen will und dafür deutsche Panzer schickt und weitere Unterstützung verspricht, und das «egal, was meine Wähler sagen».
Mittlerweile allerdings schleichen sich die ersten Grünen wieder weg aus dem Friedensaufruf unter dem allzeit probaten Vorwand, dass sich die Demonstration ungenügend gegen rechts abgrenze. Auch die Linke, also Wagenknechts Klientel, macht sich mittlerweile einen schlanken Fuss, aber längst ist Sahra Wagenknecht aus diesem Parteighetto ausgebrochen, sie ist eine der beliebtesten Politikerinnen des Landes, was die Resonanz auf ihren Aufruf aufs Schönste demonstriert.
Ich übrigens, das sei hier gestanden, war damals eher durch Zufall auf der Demo – ich wollte die wunderschöne Inszenierung meines jüngst leider verstorbenen Freundes Jürgen Flimm in Köln anschauen, «Leonce und Lena», das leichteste und schönste Lustspiel deutscher Sprache, das Georg Büchner in nur drei Wochen zu Papier brachte für einen Wettbewerb – er brauchte das Preisgeld.
Jürgen inszenierte in einem Zirkuszelt, Prinz Leonce schwebte in einer Riesenschaukel über die Bühne, und voller Weltschmerz und Langeweile rief er «Mein Leben gähnt mich an wie ein grosser weisser Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus». Prinz Leonce im Stück und ich waren damals in jenem Alter, in dem heute in der Ukraine junge Soldaten auf beiden Seiten verrecken.
Damit sie die Chance haben, ihren weissen Bogen zu füllen, sollte es morgen vor dem Brandenburger Tor schwarz vor Menschen sein!
Mehr zu diesem Thema hören in der Radio-Sendung von Matthias Matussek heute Abend, 20 Uhr, auf www.kontrafunk.radio.
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