Für ihn war er «l’amico Putin» und «die Nummer eins unter den Politikern dieser Welt». Und der Medienmogul und viermalige Regierungschef, der die Hälfte des italienischen TV-Geschäfts beherrscht, griff zu einem höchst ungewöhnlichen Mittel, das seine Ernsthaftigkeit unterstrich: Silvio Berlusconi schrieb einen Leserbrief, den der Corriere della Sera am 15. August 2015 publizierte. Er warnte den Westen eindringlich, geradezu prophetisch davor, Putin zu isolieren. Berlusconis Geschichtslektion und Weckruf im Wortlaut, teilweise gekürzt:
«Die Abwesenheit der westlichen Leader an der Feier zum siebzigsten Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges ist die Demonstration der Kurzsichtigkeit des Westens, die jemanden wie mich verbittert, der ich als Ministerpräsident unablässig daran arbeitete, Russland nach Jahrzehnten des Kalten Krieges Teil des Westens werden zu lassen. Der Entscheid, in Moskau nicht präsent zu sein, ist vor allem ein Mangel an Respekt für den entscheidenden Anteil Russlands am Sieg über Hitler 1945. Natürlich war Stalins Herrschaft kriminell, aber das vergossene russische Blut (von 20 Millionen Toten) für eine Sache, die auch die unsere war, hätte eine ganz andere Beurteilung verdient. Diese Tribüne auf dem Roten Platz, auf der neben Putin der chinesische und der indische und andere asiatischen Präsidenten sassen, bestätigt nicht die Isolation Russlands, sondern beweist das Scheitern des Westens.
Glauben wir wirklich, dass es nach Jahrzehnten des Kalten Krieges eine kluge Strategie ist, Russland abzuschotten? Zu zwingen, auf Asien zu setzen und nicht auf Europa? Sollen wir glauben, dass das die Welt zu einem sichereren, freieren, prosperierenden Ort macht? Im aktuellen geopolitischen Szenario steht der Westen vor zwei Herausforderungen: der wirtschaftlichen durch die aufstrebenden asiatischen Mächte, der politischen und militärischen durch den integralistischen Islam. Um zu bestehen, ist entscheidend, dass wir Russland auf unserer Seite haben.»
Berlusconi schlägt dann einen «Kompromiss» in der «ukrainischen Krise» von 2014 vor, es sei aber «lächerlich», die Probleme «gegen oder ohne Moskau» zu lösen. Und wäre es um die Sicherheit der baltischen Staaten, die «unter dem Expansionismus der Sowjetunion» gelitten hatten, nicht besser bestellt mit einem westlich ausgerichteten als mit einem asiatischen, kriegerischen Russland?
Italien bezieht heute 78,6 Prozent der Energie aus dem Ausland, über 40 Prozent des konsumierten Erdgases kommen aus Russland, aber auch enorme Mengen Getreide für die tägliche Pasta. Berlusconi hat als Europaparlamentarier dennoch für Sanktionen gegen Russland gestimmt. Die Telefonverbindung mit Putin ist tot, er habe ihn nie erreicht in letzter Zeit, sagte er dem Corriere della Sera.
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