Es war im März 2004, als dem damaligen deutschen Innenminister Otto Schily, einem Grünen, in seinem geräumigen Berliner Büro die Sicherungen durchbrannten.
«Bei aller Freundschaft zur Schweiz», donnerte er plötzlich bei einem Interview: «Verhandlungen mit der EU – auch für Schengen – nach der Methode ‹Die Rosinen in dem Kuchen gefallen uns, aber den Kuchen selber wollen wir nicht› funktionieren so nicht. Die berühmte Rosinenpickerei mag ja als besonders intelligente Verhandlungsposition gelten, wird aber irgendwann von dem anderen Verhandlungspartner entdeckt.»
Die Provokation des damals 71-jährigen Juristen an die Adresse des Bundesrates sass. Bern war ob der Attacke des vom einstigen RAF-Verteidiger zum strammen Law-and-Order-Politiker mutierten Schily not amused.
Vier Jahre später, als der internationale Druck zur Lockerung des Schweizer Bankgeheimnisses stieg, legte der damalige rote deutsche Finanzminister Peer Steinbrück nach: Man müsse die Schweiz zur Not mit der «Peitsche» zur Räson bringen. Wenig später zeuselte SPD-Chef Müntefering, in Länder wie Liechtenstein oder die Schweiz hätte man «zu früheren Zeiten Soldaten hingeschickt». Den Dreiklang vollendete wiederum Steinbrück, indem er die Schweizer als «Indianer» schmähte und ihnen mit der «Kavallerie» drohte.
Tempi passati. Deutschland mag nun die Schweiz.
Unlängst schalmeite der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, das drei Viertel aller deutschen Importe in die Schweiz liefert, für sein Bundesland seien die Beziehungen zur Schweiz wirtschaftlich und kulturell wichtig: «Deswegen», so Winfried Kretschmann, «werben wir inständig für gute Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz» – und plädierte unlängst bei einem Videogespräch mit dem Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Maros Sefcovic, für ein besseres Verhältnis mit der Schweiz.
Am Freitag, nach einer Visite von Bundesrat Guy Parmelin bei der deutschen Bildungs- und Forschungsministerin, verriet der Schweizer Botschafter in Deutschland, schon beim Besuch von Bundespräsident Cassis im Januar in Berlin habe die neue grüne deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock versprochen, sie werde in Brüssel für die Wiederaufnahme der Schweiz bei «Horizon Europe» werben.
Die Übersetzung des politischen Willens heisst: Die vier besten Universitäten Europas stehen in der Schweiz oder in Grossbritannien, das nach dem Brexit ebenfalls aus Horizon gekippt wurde. Die international vernetzte Forschungsgemeinde kann und will es sich nicht leisten, bei ihrer Arbeit im Rahmen des EU-Programms für Forschung und Innovation auf diesen exzellenten Brainpower aus der Schweiz und dem Königreich zu verzichten.
Das haben nun auch die Politiker gecheckt: Die Schweizer Indianer sind wieder gefragt. Von den Rosinenpickern.
Die Kommentare auf weltwoche.ch dienen als Diskussionsplattform und sollen den offenen Meinungsaustausch unter den Lesern ermöglichen. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass in allen Kommentarspalten fair und sachlich debattiert wird. Scharfe, sachbezogene Kritik am Inhalt des Artikels oder wo angebracht an Beiträgen anderer Forumsteilnehmer ist erwünscht, solange sie höflich vorgetragen wird. Persönlichkeitsverletzende und diskriminierende Äusserungen hingegen verstossen gegen unsere Richtlinien. Sie werden ebenso gelöscht wie Kommentare, die eine sexistische, beleidigende oder anstössige Ausdrucksweise verwenden. Beiträge kommerzieller Natur werden nicht freigegeben. Zu verzichten ist grundsätzlich auch auf Kommentarserien (zwei oder mehrere Kommentare hintereinander um die Zeichenbeschränkung zu umgehen), wobei die Online-Redaktion mit Augenmass Ausnahmen zulassen kann.
Die Kommentarspalten sind artikelbezogen, die thematische Ausrichtung ist damit vorgegeben. Wir bitten Sie deshalb auf Beiträge zu verzichten, die nichts mit dem Inhalt des Artikels zu tun haben.
Das Nutzen der Kommentarfunktion bedeutet ein Einverständnis mit unseren Richtlinien.
Unzulässig sind Wortmeldungen, die
Als Medium, das der freien Meinungsäusserung verpflichtet ist, handhabt die Weltwoche Verlags AG die Veröffentlichung von Kommentaren liberal. Die Online-Redaktion behält sich jedoch vor, Kommentare nach eigenem Gutdünken und ohne Angabe von Gründen nicht freizugeben. Es besteht grundsätzlich kein Recht darauf, dass ein Kommentar veröffentlich wird. Weiter behält sich die Redaktion das Recht vor, Kürzungen vorzunehmen.