Nach seinen militärischen Verlusten in der Ukraine geht Wladimir Putin in die Offensive, um, mit dem Rücken zur Wand, nicht zu einer politischen Lösung gezwungen zu werden.
Die Offensive besteht aus zwei Teilen, die er in seiner jüngsten Rede angekündigt hat: Erstens hat Putin eine Teilmobilmachung von 300.000 Russen befohlen.
Das klingt nach allerhand. Doch führt man sich die gewaltige Zahl der insgesamt 25 Millionen Wehrpflichtigen vor Augen, die verpflichtet werden könnten, erscheint sie in einem anderen Licht.
Wobei eine zusätzliche Relativierung angebracht ist: Die Reservisten erhalten einen Einführungskurs von mickrigen zwei Wochen, und sie haben kaum Kampferfahrung.
Was typisch für Russlands schlecht trainierte Armee ist. Sie bestehe vor allem aus Soldaten ohne hohes Bildungsniveau oder solchen, denen die Eltern kein Studium hätten finanzieren können, sagt David Stone, der am Naval War College, einem Think-Tank der US-Navy, russische Militärgeschichte doziert. Auch die Teilmobilmachung wird daran nichts ändern. Zudem ist die Motivation der Soldaten tief.
Putin schickt seine Truppen in ein Land, in dem sie gegen Soldaten und eine Bevölkerung kämpfen, die ihnen auf Russisch zurufen: «Ihr seid hier nicht willkommen.»
Bei Stalin war das anders: Er hatte sich auf eine hohe Motivation der Roten Armee verlassen können.
Stone: «Die Nazis hatten 25 Millionen Sowjetbürger getötet, so dass man niemandem erklären musste, wofür gekämpft wurde.»
Er bezweifle, «dass eine Aufstockung der Truppen Putin mehr helfen wird als Bush im Irak und Obama in Afghanistan», sagt der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld. Zumal viele versuchen, sich durch eine überstürzte Ausreise der Mobilisierung zu entziehen.
Putins Generäle hätten die Schlagkraft ihrer Armee überschätzt, ist van Creveld überzeugt. Bei ihren früheren Einsätzen in Syrien, Tschetschenien und Georgien seien sie mit relativ schwachen Gegnern konfrontiert gewesen. Der Sieg sei den Russen dort deshalb nicht schwergefallen, zumal die betroffenen Gebiete klein sind und sich leicht kontrollieren lassen.
Doch die Ukraine ist ein ernst zu nehmender Gegner: Motiviert und vom Westen mit modernen Waffen ausgestattet.
Letztlich werde es vor allem darum gehen, wer am längsten durchhalten könne, weil der Krieg immer mehr zu einem Abnutzungskrieg werde.
Russland verfüge über die grösseren Reserven.
Dass die Ukrainer jetzt Erfolge hätten, heisse deshalb noch lange nicht, dass sie den Krieg rasch gewinnen würden. «Letztlich wird es von wirtschaftlicher Hilfe und der politischen Unterstützung abhängen, die eine der beiden Seiten erhält», sagt van Creveld.
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