Wenn die marokkanische Mannschaft an der Fussball-Weltmeisterschaft in Katar ein Spiel gewinnt, ist in zahlreichen Städten Europa Chaos angesagt. Strassenzüge werden verwüstet, E-Scooter zerstört, parkende Autos auf den Kopf gestellt oder gar in Brand gesteckt. Statt das Abschneiden ihrer Kicker an Sieges-Partys zu feiern, veranstalten Marokkaner wüste Tumulte.
Was steckt dahinter?
Siege des Aussenseiters «Atlas Lions» sind für Araber eine süsse, wenn auch späte Rache an europäischen Mächten. In sozialen Medien werden die Leistungen der Kicker aus Nordafrika mit den Leistungen Saladins vergleichen, der im 12. Jahrhundert Jerusalem eroberte und die Kreuzritter in die Flucht schlug. Endlich haben wir es den Europäern wieder einmal gezeigt, kann man in den Tweets zwischen den Zeilen lesen.
Die Siege gegen Belgien, Spanien oder Portugal wirken auf Araber wie ein Befreiungsschlag. Das sei «köstlich», freut sich ein Kommentator. In zahlreichen Tweets lassen sie nicht nur Schadenfreude erkennen, sondern auch Genugtuung darüber, dass die marokkanische Elf Teams aus Ländern besiegt hat, die arabische Völker während Jahrhunderten «betrogen und ausgebeutet» haben.
Der Triumph der Marokkaner heile die Wunden des «kolonialen Traumas», heisst es in arabischen Kommentaren, die zum Beispiel daran erinnern, dass Marokko 1912 zum Protektorat von Frankreich wurde. Jetzt hätten es die Männer um den Trainer Walid Regragui endlich geschafft, die Kolonialmächte zu bezwingen. Das gelang zwar «nur» auf dem Fussballfeld – aber immerhin in einer Domäne, die sonst vor allem europäische Sieger kennt.
Der Erfolg über die Kolonial-Herren von damals wirkt für Araber wie ein Aufputschmittel, das ihnen hilft, ihre Minderwertigkeits-Komplexe gegenüber dem Westen abzubauen. Weil ihnen das ein Gefühl der Stärke verleiht, gehen sie aufs Ganze – und lassen ihre Wut und ihren Frust über die Vergangenheit in Tumulten aus.
Die Kommentare auf weltwoche.ch dienen als Diskussionsplattform und sollen den offenen Meinungsaustausch unter den Lesern ermöglichen. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass in allen Kommentarspalten fair und sachlich debattiert wird. Scharfe, sachbezogene Kritik am Inhalt des Artikels oder wo angebracht an Beiträgen anderer Forumsteilnehmer ist erwünscht, solange sie höflich vorgetragen wird. Persönlichkeitsverletzende und diskriminierende Äusserungen hingegen verstossen gegen unsere Richtlinien. Sie werden ebenso gelöscht wie Kommentare, die eine sexistische, beleidigende oder anstössige Ausdrucksweise verwenden. Beiträge kommerzieller Natur werden nicht freigegeben. Zu verzichten ist grundsätzlich auch auf Kommentarserien (zwei oder mehrere Kommentare hintereinander um die Zeichenbeschränkung zu umgehen), wobei die Online-Redaktion mit Augenmass Ausnahmen zulassen kann.
Die Kommentarspalten sind artikelbezogen, die thematische Ausrichtung ist damit vorgegeben. Wir bitten Sie deshalb auf Beiträge zu verzichten, die nichts mit dem Inhalt des Artikels zu tun haben.
Das Nutzen der Kommentarfunktion bedeutet ein Einverständnis mit unseren Richtlinien.
Unzulässig sind Wortmeldungen, die
Als Medium, das der freien Meinungsäusserung verpflichtet ist, handhabt die Weltwoche Verlags AG die Veröffentlichung von Kommentaren liberal. Die Online-Redaktion behält sich jedoch vor, Kommentare nach eigenem Gutdünken und ohne Angabe von Gründen nicht freizugeben. Es besteht grundsätzlich kein Recht darauf, dass ein Kommentar veröffentlich wird. Weiter behält sich die Redaktion das Recht vor, Kürzungen vorzunehmen.