Eigentlich wäre Walter Denz nun in St. Petersburg. In der früheren Zarenstadt führt er die Sprachschule Liden & Denz sowie ein Reisebüro. Als vor Wochenfrist die russischen Truppen in die Ukraine einfielen, war er zufälligerweise auf Urlaub in seiner früheren Heimat Uster. Und dort sitzt er noch immer. Denn die Rückkehr nach Russland kommt für ihn nicht in Frage. Zwar muss er nicht damit rechnen, dass er zum Militärdienst eingezogen wird. Doch befürchtet er, dass «der Vorhang wieder ganz zugeht – wenn die Lage noch weiter eskaliert».
So ist seine russische Ehefrau Natascha auf eigene Faust ins frühere Leningrad gereist, um die Dinge zu regeln und die Aufsicht für Wohnung, Auto und Geschäft zu organisieren. Wobei Walter Denz beim Gedanken an sein Geschäft ins Stocken gerät: «Mein Business-Model ist faktisch gestorben. Wir leben von ausländischen Gästen. Und durch die Reiserestriktionen und den Imageschaden werden die kaum so schnell wiederkommen.»
Noch vor nicht langer Zeit hatte der dreifache Familienvater voller Optimismus in die Zukunft geblickt und von einer «sanften Öffnung der russischen Gesellschaft» gesprochen. Vor allem die Fussball-WM habe Russland zum Positiven verändert. «Nun wissen die Russen, dass die Besucher aus dem Westen in freundlicher Mission kommen. Und die Besucher aus dem Westen haben realisiert, dass viele Vorurteile über Russland jeglicher Grundlage entbehren. Bei uns laufen keine Bären durch die Strassen. Und nicht hinter jeder Ecke lauert ein Gauner.»
Diese Worte sind drei Jahre alt – und heute wirken sie wie aus einem anderen Leben. Was Denz damals gegenüber der Weltwoche über Präsident Wladimir Putin sagte, ist vor den heutigen Ereignissen näher an der Realität: «Die einfachen Leute stützen Präsident Putin vor allem deshalb, weil sie ihn für das kleinere Übel halten. Sie denken, wenn Putin weg ist, kommt es nur noch schlimmer.»
Dass Putin heute durch den Krieg unter innenpolitischen Druck geraten könnte, glaubt Denz nicht: «Die Politelite lebt in ihrer eigenen Welt.» Viel eher denkt Denz, dass die Sanktionen und der faktische Handelsboykott das russische Volk ins Mark trifft: «Der Zentralbank wurden die Hälfte der Devisenreserven eingefroren. Und wenn die EU die Rohstoff-Bezüge stoppt, verliert Russland pro Tag Hunderte von Millionen Euro.»
Für Denz führt dies zu einer traurigen Konsequenz: «Russland wird ins 19. Jahrhundert zurückgeworfen. Es ist sehr schwierig, eine Perspektive zu sehen.»
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