Ritter, Tod und Teufel – schon zu Albrecht Dürers Zeiten stand der Krieg dem Nichts und der Hölle nah. In einer Gegenwart, die für Tod und Teufel schon keinen Platz mehr kannte, bewirkt der Krieg ihre Rückkehr: der Tod als Thema medialer Bilderfluten, der Teufel in der Person dessen, der den Angriffskrieg befiehlt.

Das Böse hat wieder einen Namen. Der Spiegel-Kolumnist Nikolaus Blome schreibt, Putin «denkt und handelt wie in jener Vorzeit, als Herrscher Grenzen auf Landkarten malten und das Böse nicht eingehegt war, sondern frei und real: Panzer rollen. Raketen zerstören Wohngebäude. Städte werden belagert, in die man mit Easyjet fliegen konnte». In der NZZ schreibt ein Anonymus über den russischen Aussenminister: «Die Masslosigkeit des Bösen verzaubert ihn. Eine Elite des Weltuntergangs. Ein Aristokrat der Apokalypse.»

Was hier metaphysisch aufgebläht daherkommt, ist nichts anderes als die Trauer über den Niedergang der Pax Americana, obendrein die Trauer einer drei Jahrzehnte lang friedens- und wohlstandsverwöhnten europäischen Easyjet-Generation. Jene «Vorzeit», von der Blome spricht, ist in Ländern wie Irak oder Afghanistan nie zu Ende gegangen. Aber dort fliegt ja auch kein Easyjet hin, will sagen, solche Weltregionen zählen nicht. Die Herablassung lässt grüssen.

Die «Fortschrittlichen» haben schon vor dem Ukraine-Krieg moralisiert und psychologisiert. Seit Putins Angriff fallen alle Hemmungen. Ebenfalls in der NZZ heisst es, Putin repräsentiere eine «abartige, dunkle Form von Männlichkeit mit egomaner Stärke, aber ohne Moral». Abartig, entartet: Worte, die ein Autor lange Zeit nicht in den Mund nahm. Was soll’s, dass Putin ein Verbrecher ist, ein Mörder, hat schliesslich auch der amerikanische Präsident bestätigt.

Offensichtlich sind wir der Realität (zu der auch gehört, dass Westeuropa keine Kriegspartei ist) nicht mehr gewachsen. Deshalb tun wir uns so schwer, zu verstehen, was Putin eigentlich will – obwohl ihm täglich Dutzende Experten unter die Hirnschale blicken. Will er die Wiederauferstehung der Sowjetunion? Ist als Nächstes Moldawien dran? Wann plant er die Invasion in Polen und im Baltikum? Wird er an der Elbe haltmachen oder erst am Rhein? Haben Freiheit und Demokratie noch eine Chance?

Manche Deutsche scheinen sogar dankbar, dass das Böse in die Politik zurückgefunden hat – weit weg, wohlgemerkt. Das relativiert eine Singularität, die noch im fünften Glied auf ihnen lastet. Putin mit Hitler gleichzusetzen, ist so gesehen ein kleiner Entschuldungsakt.

Doch wer mit den Kategorien des Bösen operiert, spielt auch mit der Angst. Bisweilen dient das handfesten Interessen, nicht nur der Rüstungslobby. Dass Polen und Balten die Angst vor russischer Expansionslust schüren, hat auch damit zu tun, dass die Aufrüstung der Nato-Ostflanke ihnen einen Machtgewinn beschert. Kein Zweifel: Der Ukraine-Krieg wird den polnischen Traum vom Intermarium, jenem Staatenriegel von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer, entschieden befördern.

Die wenigen Militärexperten, die den Krieg noch als Handwerk erklären, die die Lage auf beiden Seiten darlegen und analysieren, sind geradezu Lichtblicke. Der Rest ist Hochmut, Verachtung und Triumphgeheul: den Appeasern gegenüber, den Russen, die schwächeln und böse sind, den Realisten, die trotz der Aggression von Kompromissen reden. Bis das moralische Überlegenheitsgefühl zur Tat drängen wird, zur Eskalation, bis die Tabus brechen und der Krieg als reinigender Ritus aufersteht, ist es nur ein kleiner Schritt.

Den Feind verstehen wir sowieso nicht mehr. Überhaupt: Darf das Böse uns interessieren? In Russland ist zwar keinerlei Kriegsbegeisterung zu spüren, doch eine Mehrheit stützt den Kurs des Präsidenten. Anders als wir denken ist die Aussenwahrnehmung des Westens nicht von Freiheit und Demokratie bestimmt. Die russischen Interessen besitzen auch denselben Realitätsgehalt wie das Bewusstsein unserer moralischen Überlegenheit. Selten haben zwei Gegner so aneinander vorbeigefühlt.