Bezüglich des Butscha-Massakers habe ich in den vergangenen vier Tagen alles gelesen, was ich finden konnte – europäische, amerikanische, russische und chinesische Quellen. Das Ergebnis: Ich weiss nicht, was in Butscha geschehen ist. Wissen tun es letztlich nur jene, die massakriert wurden, und jene, die das Massaker veranstaltet haben.
Bereits 24 Stunden nach der Veröffentlichung eines schauderhaften Videos aus Butscha wussten die Politiker und Medien des Westens Bescheid. Allen voran die NZZ, die eine Anklage der Ukrainer innert Stunden in ein Urteil gegen Russland goss. Die NZZ, normalerweise eine Verfechterin des rechtlichen Gehörs, die wichtigste Zeitung eines Landes, räumte den Russen kein rechtliches Gehör ein. Ein Zürcher Automobilist erhält mehr rechtliches Gehör bezüglich einer Parkbusse.
Da die Fakten alles andere als auf dem Tisch liegen und es somit unmöglich ist, ein Urteil abzugeben, bieten sich andere Überlegungen an: Wer verfolgt welche Interessen?
Es wäre nicht das erste Mal, dass Kriegsverbrechen, ob stattgefunden oder nicht, kaltblütig zu Propagandazwecken missbraucht werden. Lange muss man im Geschichtsbuch nicht zurückblättern, um einen Propagandacoup zu finden, der ein 300-Millionen-Volk innert Tagen emotional auf einen Krieg vorbereitete.
Oktober 1991: Es herrscht Krieg in Kuwait. Der Irak hat das Land im August 1991 besetzt. Der Westen ist – so wie heute – empört. Die amerikanische Regierung will militärisch einschreiten – das amerikanische Volk scheint jedoch diesen Schritt emotional noch nicht zu unterstützen. Die Methode, das amerikanische Volk zu motivieren, ist ebenso zynisch wie wirkungsvoll – und sollte sich später als Lüge herausstellen.
Am 10. Oktober 1991 sagt ein 15-jähriges Mädchen vor dem amerikanischen Menschenrechtsausschuss aus, dass sie als freiwillige Helferin in einem kuwaitischen Kinderspital mit eigenen Augen beobachtet habe, wie irakische Soldaten über das Spital hergefallen seien und Neugeborene aus Brutkästen gerissen hätten und diese Neugeborenen gestorben seien.
Kurz darauf läuft die gutgeölte amerikanische Propagandamaschine an. Präsident Bush sen., im Gleichschritt mit Dutzenden anderen Politikern, verteufelt mit dieser Geschichte den Irak – grossartig koordiniert mit den Medien auf der ganzen Welt. Kurz danach ist das amerikanische Volk emotional bereit für den Krieg.
Nicht viel später stellte sich heraus, dass die Geschichte nicht nur einen Schönheitsfehler hatte, sondern frei erfunden war. Das liebliche 15-jährige Mädchen hielt sich nie in besagtem Kinderspital auf, sondern war die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA. Später verurteile Amnesty International die Bush-Administration und warf ihr vor, dass Amnesty International missbraucht worden sei, um Kriegstreiberei zu betreiben.
Es versteht sich von selbst, dass niemand je zur Verantwortung gezogen wurde.
Es ist somit eine Tatsache, dass Menschen in Krisenzeiten mit absolut fabrizierter Information manipuliert werden. Traurigerweise merken es die Menschen erst, dass sie übertölpelt worden sind, nachdem der Schaden schon angerichtet ist.
Das Interesse des Westens ist es, Russland zu verteufeln. Was haben die Russen für ein Interesse verfolgt, falls sie tatsächlich dieses Massaker veranstaltet haben?
Ein Denkanstoss.
Peter Hänseler ist ein Schweizer Anwalt und Unternehmer.
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