Er sieht aus wie ein viel zu schnell gealterter Held; da sind die tennisballgrossen Tränensäcke, da sind die Spuren all der verlorenen Matches auf dem Court und im Leben, die sich auf den Glanz seiner Siege gelegt haben. In diesen Tagen, in dem ein Mann, der aussieht wie ein greiser Siegfried oder der späte Gunter Gabriel, vor einem Gericht um eine Zukunft kämpft, die seit seiner Jugend hinter ihm zu liegen scheint, ist es an der Zeit, ein Time-out zu nehmen und auf das Episch-Monumentale des beckerschen Seins hinzuweisen.
Boris Becker (54), Ex-Tennisspieler, weisse T-Shirts, kurze Hosen, dunkle Bräute, mieser Geschäftsmann. Manchmal kommen Menschen auf die Welt, die nur ein einziges Talent in sich tragen, dafür ein unermessliches grosses. Das von Boris war ein autistisches für Tennis, und die Schattenseite war, dass er für all den Rest im Grunde ungeeignet war, was er allerdings selbst nicht bemerkte.
Vielleicht ist das sein Problem, dass er alles, was ihm nach dem Tennis widerfuhr, für ein weiteres Match hielt, Becker Service, Hechtrolle und Bumbum, wenn es eng wurde, aber dabei vergass, dass das Lebens jenseits des Tennisplatzes ein Spiel ohne Schläger ist und auch nicht so einfach. Nur seine Frauen waren Freundschaftsspiele, bei denen er, zwar ungern, aber doch mal einen Satz verlieren konnte, und erst im Tie-Break einer Beziehung ging es dann um Game, Set and Match.
45 Millionen Euro Schulden, Mauscheleien beim Insolvenzverfahren vielleicht, zwei Scheidungen, zwei Trennungen, ein paar Girls dazwischen, eine in einer Besenkammer, das ist nicht viel, sechs Grand-Slam-Siege, das ist ordentlich, 150 Millionen Dollar mal auf dem Konto, das ist gut, lange Deutschlands beliebtester Alleinunterhalter, das war sein Schicksal, als die Bälle nicht mehr rollten; er ist der Mozart des Scheiterns, und es ist famos, mit welcher Souplesse und grandioser Ignoranz er aus viel wenig gemacht hat und aus wenig nie viel.
«Ich bin halt so», sagt er. Und steht mit all den Normalsterblichen Schlange vor dem Gerichtsgebäude, wartet, bis er sich hineinschleppt, um dort sein vielleicht wichtigstes Turnier des Lebens zu spielen. Und hoffentlich in einer guten Woche, für einmal nicht humpelnd, aus dem Gebäude hinaustänzeln wird. Und der Welt die Becker-Faust zeigt. Es wäre sein zweiter grösster Sieg. Das hätte er verdient, dieser Mann, der einst Wunder konnte, bevor er sein Wunder erlebte.
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